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: Wodka, rasiert

Minuten vergehen, dann Stunden und Tage, von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr, ich kucke auf die Uhr, und schon ist wieder Weihnachten... Wir stehen im Regen auf dem Berliner Weihnachtsmarkt und sind auf der Suche nach neuen Geschenkideen.

Allerdings hat mich diese Problematik erst in Deutschland erreicht. Bei uns in Rußland wird Weihnachten nach Silvester am 6. Januar gefeiert, als eine Art Fortsetzung zum Silvester-Deliriumsprogramm. Das Ganze ist automatisch beendet, wenn man am 13. Januar auch noch Neujahr nach dem alten Kalender feiert.

Die Tradition, Tannen ins Haus zu schleppen, kam nach Rußland aus Deutschland. Der erste russische Weihnachtsmann war Peter der Große. Als er vor genau 300 Jahren, 1698, Berlin besuchte, begeisterte sich der Zar für deutsche Traditionspflege. Ihm gefiel, wie pfleglich der Deutsche seinen Alltag gestaltete und wie der Deutsche feierte. Drei Errungenschaften nahm Pjotr nach Moskau mit, die er unbedingt in heimatliche Erde verpflanzen wollte: Kaffee, Rasur und Weihnachtsbaum.

Damals herrschten bei uns ganz andere Sitten, aber Pjotr ließ sich nicht abbringen von seinem Programm, Rußland mit einem Teil der Weltkultur zu beglücken: Kaffee trinken statt saufen, Rasieren und Hände waschen statt saufen, unter dem Tannenbaum Weihnachten feiern, statt einfach so rumzusitzen und zu saufen. Die Russen widersprachen dem Zaren und meuterten, doch Pjotr gewann auch diese Schlacht. Seit 300 Jahren versammeln sich die Russen nun schon glatt rasiert unter festlich geschmückten Tannenbäumen. Sie trinken Kaffee, unterhalten sich über dies und das, und wenn der Kaffee alle ist, gehen sie zu Wodka über.

Die modernen Russen schalten schon ab Silvester den Fernseher ein und versuchen den Hintersinn der Nachrichten zu begreifen. Sie sehen den Präsidenten, der gerade mit seinem Kaffee fertig geworden ist und allen ein frohes neues Jahr wünscht. Sie schließen Wetten darüber ab, wann er an diesem Tag ins Bett gehen wird. Nach dem Präsidenten kommt das Silvesterkonzert. Im Fernsehen wird gesungen und getanzt, ab 4 Uhr nachts oben ohne. Am 5. Januar ist das Konzert zu Ende.

Am 6. Januar fängt das russische Weihnachten an. Der Präsident erscheint nicht mehr im Fernsehen. Am 13. Januar kommt das alte Neujahr, ein Fest für alle, die noch gerade stehen können. Zu diesem Zeitpunkt erreicht eine neue Warenlieferung die ausverkauften Spirituosengeschäfte, und der Präsident erscheint wieder auf dem Bildschirm. Das gilt bei uns als gutes Zeichen.

Ein neues Jahr kann beginnen: Aspirin schlucken, leere Flaschen einsammeln, Fernseher ausmachen, Gäste rausschmeißen, Hände waschen, rasieren. Und die Reste vom Tannenbaum müssen auch noch beseitigt werden. Luft schnappen.

Parade, Jubel, Trommelwirbel.

Der Rundfunkempfänger schräggestellt.

Na denn, ich rasiere mich und parfümiere mich,

Schüttel die Taschen aus,

Und vorwärts in die Karussells,

Im Gorki-Park für Kultur und Erholung.

Da ist das Leben! Da!

Text: Wladimir Kaminer

Zeichnung und Gedicht: Ilia Kitup

Die Autoren sind Russen und leben seit acht beziehungsweise zwei Jahren in Berlin.