Doppelte Qual: Frauen haben Sorgen, Männer Humor

■ Bisherige Anthologien von Toiletten-Sprüchen ignorierten die Geschlechter-differenzen. Wie dumm. Ein Vergleich von universitären Jungens- und Mädchenklos klärt nämlich endlich die alte Frage, ob Geschlechts-unterschiede angeboren sind oder anerzogen, wie die gender-Debatte behauptet

Körper und Geist: Ihre Energien strömen ineinander wie Gin und Tonic in Harrys Bar. Kaum öffnet sich der eine und überläßt Urin dem freien Lauf der Dingwelt, entströmt der andere im Wort. Wo die Blase leer und rein ist, will der Kopf nicht länger beschmutzt sein, schnappt sich behend einen Kuli und verziert Toilettenwände. Ein Zustand psychosomatischer Harmonie. Endlich kehrt das Unterbewußte zurück zum Rousseauschen Naturzustand. Das funktioniert sogar an Bremens Uni. Und so dürfen deren Toiletten getrost gedeutet werden als Beichtstuhl und intimes Tagebuch der Studentenschaft.

Der Studentenschaft? Die existiert so als homogenes Ganzes natürlich nicht. Die Ethnie der Studies ist zerborsten in hörige SklavInnen von weiblichen und männlichen Rollenmustern. Eine Zersplitterung, die natürlich auch an den Klowänden nicht spurlos vorbeigehen kann.

So lautet die Fragestellung dieser poststrukturalistisch-nihilistischen Untersuchung: Wie tief reichen die sexuellen Rollenmuster in die Logik des Klospruchs hinein? Allerhöchste Zeit ist es für diese Untersuchung. Das hat wie immer zwei Gründe, einen externen und einen internen: Der Klospruch wird durch die CDU-getragene Politik der Inneren Sicherheit und äußerlichen Sauberkeit so gnadenlos verfolgt wie der Pandabär in China. Mancherorts ist er von der Auslöschung bedroht; im GW1 (der Heimat der Geisteswissenschaften) zum Beispiel blinken traurige Schildchen von pudelnackten Wänden dem Gast entgegen. Sie mahnen: „Verlassen Sie die Toilette wie Sie sie vorgefunden haben. Das Reinigungspersonal.“ Vom Reinigungspersonal ist natürlich nichts anderes zu erwarten als autoritäre Schildchenmalerei. Was den aufgeklärten Menschen, der sich in der Tradition von Montaigne und den Toten Hosen stehen sieht, aber doch in Verwirrung stürzt: Die Studentenschaft leistet den Wünschen des Reinigungspersonals tatsächlich Folge, als handele es sich hier um die Bergpredigt. Und da stellt sich die Frage: Warum können junge Menschen heutzutage nicht mehr unterscheiden zwischen Reinigungspersonal und Christus.

Außerdem schwindet der Bedarf an der Anonymität des Klodiskurses, weil heutzutage nämlich Zotigkeiten in aller Öffentlichkeit im Fernsehen ausgetauscht werden dürfen. Die Kloliteratur stirbt also langsam aus. Vermutlich sind es die letzten Exemplare, die Sie hier dokumentiert finden. In medias res.

Zunächst eine quantitative Bestandsaufnahme: Drei Toilettenpaare (zwei Mal NW, einmal GW1) waren gänzlich nackt und kahl; ein weiteres Toilettenpaar war unbeschrieben aufgrund technischer Widrigkeiten (Totalfliesung der Wände); bei einem Paar zeigte sich das Männerklo gesprächig, das Frauenklo hingegen schweigsam und diskret; drei Toilettenpaare im GW2 waren etwa paritätisch beschrieben. Unterschiede im Geschwätzigkeitsgrad gibt es also nicht. Aber in der Art: Frauen breiten auf Toilettenwänden ihre privaten Probleme aus, Männer nicht. Nie! Diese ersten Bremer Klostudien bestätigen also zunächst das Bild vom sozialeren und kommunikativeren Geist der Frau in dieser Gesellschaft. Doch Vorsicht! Jede Seelenentblätterung wurde von einer Nachklostuhlbesteigerin mit grausamen Verhöhnungen quittiert. Die gender-Debatte hat also eine Gruppe von Frauen sensibilisiert für den Sensibilitätszwang, dem ihr Geschlecht unterliegt. Dagegen setzen sie sich zur Wehr mit typisch männlicher Ironie. Beispiel w1: „Ein Kind, das zweite unterwegs, Job, Studium, Panik... Wie schaffen andere Frauen das eigentlich?!?!“ – „Pille!“. Knapp, präzise und gemein wie Henry Maskes Faust. Beispiel w2: „Meine große Liebe liebt eine andere. Sie ist hübscher als ich und strahlt immer gute Laune aus. Was kann mir noch helfen?“ – „Nischt!“ Warum kommunizieren Frauen eigentlich am liebsten über ihr Ego und die Liebe und nicht über die preiswerteste Satellitenschüssel. Beispiel w3: „Ich sehe sehr gut aus... Männer wollen mich nur, um ihr Ego aufzupeppen...“ – „Kiff doch, vielleicht kriegst Du Pickel.“ Und eine andere Inschrift unternimmt eine Generalabrechnung mit der traditionellen weiblichen Innerlichkeit: „Hallo Schnitten. Hier schreibt Dr. Sommer von der Bravo... Fragt doch mal: Wie führe ich mir ein Tampon ein, oder: Hilfe, mein Freund will Analverkehr.“ Dies alles muß wohl gedeutet werden als subtil-poetischer Protest gegen Carol Gilligans legendäre Theorie von der „spezifisch weiblichen Moral“, die sich auf Einfühlung und Abwägen gründet. Auch Frauen haben scheinbar keine Lust mehr zum Einfühlen, allerdings immer noch zum Seelenauskippen – zweifelsohne ein innerweiblicher Konflikt. Oder ein Dilemma?

Nur in einem einzigen, einsamen Beispiel, versucht eine Frau einer Geschlechtsgenossin beizustehen. Und prompt regrediert frau in die beiden alten konträren Klischees vom Püppchen und der Männerhasserin. Beispiel w4: Eine Frau hat sich in einen Mann verliebt und traut sich nicht, ihn anzusprechen, weil er älter ist. Rat a): „Vielleicht erst mal Blickkontakt herstellen. Und lächeln.“ Und das, obwohl nicht mal mehr die Autowerbung auf lächelnde Frauen abfährt. Rat b): „Vergeßt nicht: Männer sind Schweine! Der ist doch bestimmt verheiratet.“ Verheirateten Männer sind prinzipiell Schweine? Das hat was.

Der umgekehrte Fall, also Männer, die sich erkundigen, wie ältere Frauen anzubaggern wären, gibt es in der Bremer Toilettenkultur nicht. Entweder stehen Männer noch immer nicht auf ältere Frauen – oder sie brauchen keine Aufreißbeihilfen. Stattdessen werden hier gerne Anti-PC-Witze erzählt. Beispiel m1: „Meine übelsten Witze: Wie kann man mit einer 12jährigen Tittenficken? Brustkorb eintreten. Was ist grün und blau und will keinen Sex? Ein Vergewaltigungsopfer.“ – „Noch ein Witz: Grün ist der Wandel“. Der zweite Schreiber findet offensichtlich die Atomausstiegspolitik von Trittin genauso geschmacklos wie das Eintreten von Brustkörben. Wer würde ihm da widersprechen? Beispiel m2: „Nenne mir vier Flüsse, Blondine. – Rhein Inn Main Po.“ Beispiel m3: „Fressen zwei Kannibalen einen Clown. Sagt der eine: Hmmm, das schmeckt irgendwie komisch!“ Beispiel m4: „Was ist der Unterschied zwischen einer Lokomotive und einer Filzlaus? – Eine Lokomotive pfeift um die Kurve, eine Filzlaus kurvt um die Pfeife.“ Beispiel m5: „Mädchen sind wie Senfgläser, jeder steckt seine Wurst rein.“ Drei dieser fünf Anti-PC-Witze gehen auf Kosten von Frauen. Wahrscheinlich sind noch immer die alten männlichen Rollenmuster virulent, die davon ausgehen, daß Sexualität nur GEGEN die Interessen der Frauen gelebt werden kann. Oder der Feminismus hat die Männer so verärgert, daß sie am geschützten, stillen Ort heimlich Rache üben, um nach Betätigung der Spühlung wieder ordnungsgemäß feministisch-liebevoll zu funktionieren.

Der bremenweit einzige weibliche Anti-PC-Witz ist zwar auch sexistisch, aber bemerkenswerterweise absolut geschlechtsneutral und auf hohem sprachkünstlerischem Niveau: „Fleisch ist Mord – Denn wie schon Papst Johannes Paul II. verkündete: Fleischeslust geziemt sich nicht beim Mord.“ Fast Paul Celan, „schwarze Milch der Frühe....“! Die weibliche Kritik am Mann kleidet sich dagegen nicht in Witzform, nimmt sich vergleichsweise harmlos aus und – ! – sie bleibt nicht unwidersprochen: „Männer sind nur gut zum Ficken, und selbst das beherrschen sie nicht zufriedenstellend.“ – „Genial.“ – „Genial dumm.“ Und manchmal kommt es sogar zu einem Lob am anderen Geschlecht, wenn auch versehentlich: „Normale Männer können leider keine Frau befriedigen. Meiner Gott sei Dank schon.“ – „Du hast wohl eine Ausnahme erwischt. Ich auch.“ – „Alle guten Dinge sind drei.“ – „Ich kenn' da auch so einen...“ Eine vergleichbare Rühmung der Frauen findet sich auf Bremens Klos dagegen nicht.

Studenten gehen bei der Entleerung aber nicht nur der Beschäftigung mit dem fremden Geschlecht nach, sondern auch der mit dem eigenen. Bei diesen literarischen Onanien demonstrieren die weiblichen Wände erheblich mehr Reife. Männer lieben vor allem halbironische Schwulenhatz: „Arschfick ist gesund!“ – „Schreib mal deine Telefonnummer auf, du Schwuchtel. Dann polier ich dir die Fresse.“ „Polier“ ohne Apostroph zu schreiben, das ist richtig geschmacklos. Igitt. Frauen gehen dagegen bei der Diskussion der sie betreffenden Rollenmodellen kaum über dezente verbale Unverschämtheiten hinaus: „Die Emanzen sind sowas von muffig und grau...“ – „Ja, aber die Girlies habens erreicht. Haarspange und buntes T-Shirt – und schon sind sie am Ende ihrer Wünsche angelangt.“ Klar wird, daß die feministische Befreiung (zum Beispiel vom Schönheitszwang) nicht nur spannend, sondern auch manchmal mühselig und krampfig ist: „Jede Frau ist schön.“ – „Wieso müssen Frauen immer schön sein?“ Wieso müssen Frauen immer noch darüber diskutieren, ob sie schön sein müssen oder nicht?

Bei all diesen Problemen, finden die Toilettengänger doch noch Zeit zum Leben. Auf weiblichen und männlichen Toiletten sind zwar wenige, aber eben doch einige sinnlos-egomane Daseinsjubel aufzufinden. Ist er beim Mann knapp und schlicht (“Es ist schön, zu sein!“) verkleidet er sich bei Frau in spätromantische Gedichtformen (“Laß Licht in Dich ein. Das Licht in Dir zieht an das Licht...“ Oder: „Man muß noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.“). Zwischen dem Wort „schön“ und dem „tanzenden Stern“ besteht in etwa der selbe Längenunterschied wie zwischen männlicher Kurzhaarfrisur und weiblicher Dauerwelle. Noch immer sind Frauen so und so offenbar zu mehr Kompliziertheit getrimmt.

Politische statements kommen vor. Aber selten. Weiblicher- wie männlicherseits wird „Kreiter auf den Folterstuhl“ gewünscht. In den Naturwissenschaft gibt es sogar einen ausufernden Diskurs männerseits über die Verantwortung des Wissenschaftlers. Er dockt sich an ein Zitat aus der NS-Zeit an: „'Seht im Studium nie eine Pflicht, sondern die beneidenswerte Gelegenheit, die befreiende Schönheit auf dem Gebiet des Geistes kennenzulernen, zu Eurer eigenen Freude und zugunsten der Gemeinschaft, der Euer späteres Wirken einmal gehört. A.E. 1933.'“ – „Verstehst Du das Aufpassen auf das, was man fabriziert, als eine moralische Pflicht?“ – „Ja, aber...“ Die weiblichen Naturwissenschaftler schweigen zu ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung.

Das „gesellschaftliche Konstrukt“ Geschlecht ist noch immer gut verklebt und verschraubt. Frauen allerdings fangen an, im Sinne der gender-Päpstin Judith Butler, „die Geschlechter-Binarität zu verwirren“ und die „herrschenden Identitätsrituale“ durch schlechten männlichen Geschmack zu unterlaufen. Das ist schön. Bis in Bremen die Transvestiten und Transsexuellen in Tausenden durch die Betongänge strömen und jedeR nach Julia Kristeva „das Fremde in sich anerkennt“ dürften noch einige Myriaden Klospühlungen den Bach hinuntergehen. Bei der Lektüre manch weiblicher Ermahnung (“Ich bin zutiefst erschüttert darüber, daß die heutige Gesellschaft solchen Frauen Raum zur Existenz gibt.“) oder einiger Dokumente männlichen Humors (“Los Fee, bück dich. Wunsch ist Wunsch.“) ist die Versuchung groß, sich doch noch der teil-biologistischen Camille Paglia anzuschließen: „Die Wahrheiten in gewissen Klischees über Frauen und Männer gilt es wiederzuentdecken.“ Bückende Fee's, nein, sowas kann keine Gesellschaft dieser Welt anerziehen. Das muß archetypisch verankert sein.

Regenfrauen und Schaumentsprungene, die in schamanistischen Ritualen ihre tiefe weibliche Verbundenheit zur Natur „wiederentdecken“, scheinen allerdings zum Glück nicht in der Uni zu urinieren. Wahrscheinlich pinkeln sie an Bäume, ganz unweibisch. Ute Rus und Guy LeSau

Seit diesem Wintersemester gibt es auch in Bremen gender-studies. Kurse zum Bremer Toilettenwesen werden bislang leider noch nicht angeboten. Wenn es aber soweit sein sollte, hier ein Tip: Schaffen Sie sich Gasmasken und Selbstbewußtsein an für den Fall, daß ein Pinkler rüffelt: „Was machst Du hier eigentlich, du geile Sau“.