Ins Wasser gefallen

Die Berliner Stadtentwicklungsgebiete, einst Modellprojekte, sind mit milliardenschweren Verlusten gescheitert. Einzig der Bausumpf hat sich ausbreiten können  ■ Von Hannes Koch

Jede Information mußten die Abgeordneten Ulrich Arndt aus der Nase ziehen. Schließlich gestand vor einem Monat der Baustaatssekretär vor dem Hauptausschuß des Landesparlaments ein, daß die beiden Immobilienfirmen, die Stadtentwicklungsgesellschaft Eldenaer Straße und die Wasserstadt GmbH, auch 1999 Kredite von 30 bzw. 20 Millionen Mark brauchen werden. Das hatte sich in der Vorlage, die Arndts Chef, CDU-Bausenator Jürgen Klemann, zur Ausschußsitzung präsentiert hatte, noch ganz anders dargestellt. Für das kommende Jahr sei „rechnerisch keine Kreditaufnahme“ zu erwarten, lautete die Formulierung dort.

Angesichts dieser widersprüchlichen Aussagen platzte der bündnisgrünen Finanzexpertin Michaele Schreyer der Kragen: Daß die VolksvertreterInnen diese Informationen so spät erhielten, sei eine „bewußte Täuschung“ aus dem Hause des Senators. Was die Grüne besonders erzürnt, ist, daß die fraglichen Kredite von Privatfirmen aufgenommen werden, die im Auftrag des Senats agieren. Letztlich steht für die Schulden also die öffentliche Hand gerade.

Die mangelhafte Information durch die Regierung war nur ein besonders krasses Beispiel dessen, was in der Berliner Baupolitik seit Jahren gängige Praxis ist. Die parlamentarische Kontrolle wurde systematisch ausgeschaltet, seit der Senat 1992 sein ehrgeiziges Projekt startete, in fünf Entwicklungsgebieten 30.000 Wohnungen zu bauen und Zehntausende Arbeitsplätze zu schaffen: In großem Gestus wurden die Wasserstadt Oberhavel, die Rummelsburger Bucht, die Projekte Eldenaer Straße, Adlershof und Biesdorf geplant. Die Abgeordneten jedoch erhielten kaum Informationen – und wenn, dann zu spät. Die wichtigen Entscheidungen wurden anderswo getroffen: bei den Entwicklungsfirmen und der Bauverwaltung.

Das Privatrecht als Königsweg

Im Zeichen gähnender Leere in staatlichen Kassen und heftiger Kritik am lahmen Staatsapparat galt die Berliner Konstruktion zu Beginn der 90er Jahre als Königsweg. Der Senat gründete privatrechtliche Entwicklungsfirmen, an denen er teilweise beteiligt ist, und beauftragte sie mit dem Aufkauf, der Sanierung und späteren Veräußerung riesiger städtischer Flächen an Bauinvestoren (siehe Kasten). Etwaige Verluste wollte nach Beendigung der Entwicklungsmaßnahmen das Land übernehmen.

So schaffte der Senat – wohlgemerkt mit Zustimmung von SPD und CDU im Abgeordnetenhaus – die Voraussetzung dafür, daß später ein privatrechtlicher Schattenhaushalt neben dem öffentlichen Budget entstand. Die Schuldenaufnahme der Entwicklungsfirmen zu genehmigen oblag anfangs der Bauverwaltung von SPD-Senator Wolfgang Nagel, später seinem Nachfolger Klemann (CDU). Die Finanzverwaltung prüfte, ob sich die Zinsen im marktüblichen Rahmen bewegten. Parlamentarische Abstimmungen über die Budgets der Firmen, ihre Bankschulden und Defizite „waren in dieser Konstruktion nicht vorgesehen“, so Grünen-Politikerin Schreyer. Erst ab 1997 ließ sich die Verwaltung einen Teil der ausgelagerten Schulden vom Parlament absegnen. Dadurch bekamen die VolksvertreterInnen die Möglichkeit, über die Firmenfinanzen mit zu entscheiden.

Damals aber war das Kind längst in den Brunnen gefallen. Die von den Entwicklungsträgern aufgenommenen Kredite hatten nach Recherchen des PDS-Abgeordneten Harald Wolf insgesamt rund 850 Millionen Mark erreicht. Die Schulden drohten die erwarteten Einnahmen zu übersteigen. Nach heutigen Berechnungen wird das Defizit 1,7 Milliarden Mark betragen. Dabei schlägt allein die Wasserstadt GmbH, die Wohnungen an der Havel im Norden der Stadt und an der Spree im Osten baut, mit 500 Millionen Miesen zu Buche.

Jenseits der planmäßigen Nichtkontrolle umgingen die Bauverwaltung und die Entwicklungsträger das Parlament jedoch auch dort, wo es zuständig war – etwa bei der Genehmigung staatlicher Investitionen für Straßen und Brücken. „Fakten schaffen“ war das Motto, resümiert die bündnisgrüne Bauexpertin Ida Schillen.

Der Firmenvorläufer der Wasserstadt GmbH, die TET Wasserstadt GmbH, gestand dem Bauinvestor Siemens beispielsweise vertraglich zu, daß das Land Berlin die neue Spandauer „Südbrücke“ bis Ende 1997 fertigstellen werde. Die entsprechenden Gelder standen jedoch noch gar nicht im Haushalt. Die Bauverwaltung deckte diese Umgehung des Parlaments – was im Frühling dieses Jahres den Landesrechnungshof auf den Plan rief. In ihrem vom Hauptausschuß erbetenen Bericht schrieben die amtlichen PrüferInnen Mitte Oktober 1998, der Brückenvertrag sei „haushaltsrechtlich nicht ausreichend abgesichert“ gewesen.

Ein ähnliches Geschäftsgebaren legten die Wasserstadt GmbH und die Bauverwaltung nach Ermittlungen des Rechnungshofes bei der „Nordbrücke“ an den Tag. Sie war zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mit den Investoren, die später Wohnhäuser in der Umgebung errichten wollen, ebenfalls nicht im Haushalt verankert. Wieder wurde das Parlament mißachtet.

Kritik vom Rechnungshof wurde ingnoriert

Selbst den Rechnungshof bremste das Haus Klemann aus. Während die PrüferInnen die Brücke schon im Visier hatten, erteilte die Bauverwaltung noch am 10. August 1998 einen Bauauftrag über 43 Millionen Mark. Gerade noch rechtzeitig, wie sich bald herausstellte: Im Bericht vom Oktober empfiehlt der Rechnungshof nämlich, daß man den Bau der Nordbrücke wegen des geringen Verkehrsaufkommens bis 2005 verschieben könne.

Rechnungshof und Abgeordnete haben inzwischen weitere Beispiele purer Verschwendung öffentlicher Mittel in der Wasserstadt entdeckt. So ließen die Architekten auf der Südbrücke 16 aufwendige Pfeiler errichten. Auf jedem thront ein großer, innerlich beleuchteter Würfel, dessen ausgeklügelte Spiegelkonstruktion das Licht weithin über die verkehrsarme Havel verteilt. Kostenpunkt: 2,8 Millionen Mark. Das Urteil der Prüfer: „Ein Standard, der weit über die günstigste Relation zwischen dem verfolgten Zweck und den einzusetzenden Mitteln hinausging“. Die ungerechtfertigten Mehrkosten für die Brücke summieren sich auf 8,3 Millionen Mark. Auch Wasserstadt-Geschäftsführer Uli Hellweg räumt mittlerweile ein, daß die Südbrücke etwas zu aufwendig ausgefallen sei.

In einem anderen Fall kaufte die von parlamentarischer Kontrolle weitgehend unbehelligte Wasserstadt GmbH bei ihrer Anteilseignerin, der LBB Grundstücksentwicklungsgesellschaft, Personal ein. Die Kosten dafür lagen weit über den Honoraren, die die Firma durchschnittlich ihren eigenen Leuten bezahlt, weist der der taz vorliegende Vertrag aus.

Wasserstadt-Geschäftsführer Uli Hellweg erklärt die Differenz damit, daß erstens die eingekauften, höheren Qualifikationen in seiner Firma nicht vorhanden seien und zweitens die Honorarzahlungen auch Sachkosten enthielten, die die Wasserstadt im Falle ihres eigenen Personals an anderer Stelle ausweise. Die ausgelagerten Honorare bewegten sich also in derselben Größenordnung wie die der Wasserstadt.

Mittlerweile erscheint die privatisierte Stadtentwicklung auch vielen SPD-Abgeordneten als waghalsiges Unterfangen. Deshalb haben der Bau- und Hauptausschuß des Abgeordnetenhauses im November endlich die Notbremse gezogen. Fortan muß sich die Bauverwaltung jeden einzelnen Kredit für die Entwicklungsgebiete vom Parlament genehmigen lassen. Und der Ankauf von neuen Grundstücken ist einstweilen storniert. „Wir haben uns das Budgetrecht zurückgeholt“, sagt SPD- Bauexperte Michael Arndt.

Warum aber hielt das Parlament so lange still? Man habe sich Sand in die Augen streuen lassen, obwohl an den jährlich vorgelegten Kosten- und Finanzierungsplänen der Entwicklungsfirmen die fatale Richtung durchaus ablesbar war, meint Arndt. Man habe sich damit getröstet, daß die Kosten fürs Land nicht im jeweils nächsten Haushalt, sondern erst Jahre später, nach dem formellen Abschluß des jeweiligen Projektes, zu Buche schlagen würden.

Netzwerk der Einflußnahme gewebt

Der „Archimedische Punkt“ aber, so Arndt, liege woanders. Dank der riesigen, von ihnen bewegten Geldsummen hätten die Entwicklungsträger, allen voran die Wasserstadt GmbH, ein stabiles Netz der Einflußnahme in der Stadt gewebt. Einen Beleg für diese These brachte die Wühlarbeit der KritikerInnen ebenfalls in jüngster Zeit ans Tageslicht.

Walter Göllner (SPD), der Leiter des Spandauer Stadtplanungsamtes, stand jahrelang nicht nur beim Bezirk Spandau, sondern auch bei der Wasserstadt auf der Gehaltsliste. Mit offizieller Genehmigung des Bezirks fertigte er für die Firma Baubebauungspläne, die sein eigenes Amt schließlich absegnete. Insidern war Göllner früher als massiver Kritiker der privatisierten Stadtentwicklung bekannt. Nun ist er dank der Wasserstadt GmbH um 84.000 Mark Honorar reicher.