Weisheiten am Beispiel pittoresker Penner

■ Weihnachten macht rührselig, und Obdachlose sind auch Menschen - zumal, wenn sie in dem Verwechslungsrührstück "Letzte Chance für Harry" von Harald Juhnke beziehungsweise Günter Pfitzmann dargeste

Wenn Juhnke und Pfitzmann sich gemeinsam die Ehre geben, droht Berliner Schnauze. Da ist man mindestens auf „Praxis Bülowbogen“ oder die „Drei Damen vom Grill“ – also auf das Schlimmste – gefaßt. Die allgemeine Rührseligkeit an Weihnachten macht es nicht besser. Andererseits: Weihnachten macht rührselig, und Juhnke ist rührselig am besten.

Harry (Harald Juhnke) ist obdachlos, aber er ist nicht irgendein dahergelaufener Penner. Nein, Harry hört sogar aus dem schmierigen Kofferradio an der Currywurstbude (Mit herzlichen Grüßen der „Drei Damen vom Grill“!), daß da die Berliner Philharmoniker spielen. Denn Harry war mal ein berühmter Dirigent und ist also ein guter und ein gut gebildeter Mensch. Letztlich viel zu schade für die Straße.

Und so hätte der edle Harry dem unbekannten Unfallopfer auch niemals Mantel, Schuhe und Brieftasche gemopst, wäre er nicht fest davon ausgegangen, daß diesem Manne nicht mal mehr ein Dr. Brockmann zurück ins Leben helfen könnte. Aber der kanadische Topmanager Simon Spradow (Günter Pfitzmann) überlebt und wird nun seinerseits über Nacht zum Obdachlosen. (Weihnachtsweisheit Nr.1: Ohne Geld, Papiere und Schuhe gilt der Mensch in dieser Gesellschaft nichts.) Harry dagegen wird über Nacht zu einem angesehenen Gast im Hotel Adlon (Weisheit Nr. 2: Kleider machen Leute), zu einem gefürchteten Revisor und einem gut betuchten Robin Hood, der die Ärmsten der Armen unterstützt. Denn (Nr.3): „Auch Penner sind Menschen.“

Man ahnt, daß diese Verwechslung für alle Beteiligten gut ausgehen wird, legt den Kopf zur Seite und lächelt ein bißchen verschämt den Bildschirm an. Daß die Rührseligkeit in „Letzte Chance für Harry“ erträglich bleibt, hat sicher etwas mit Weihnachten zu tun – und bestimmt nichts mit Günter Pfitzmann. Weder glaubt man ihm den harten Kotzbrocken aus Übersee, noch nimmt man ihm ab, er habe schon jemals im Internet gesurft. Vor allem dann nicht, wenn er davor sitzt.

Der arme Pfitzmann ist also in dieser Komödie vor allem unfreiwillig komisch. Auch die pittoresken Berber, die aalglatten Manager, pöbelnden Luden (Sorry, Rolf Zacher, Gott hab' dich selig!) stimmen eher traurig – so stellt sich Klein Fritzchen wohl die Welt vor!

Wie komödiantisch dagegen die Szenen, in denen Harry alias Harald Juhnke auf die Konzernchefin Daniela Koch alias Christiane Hörbiger trifft. Da lohnt das Schauen dann schon. Keine Gelegenheit lassen die beiden aus, mit einer hochgezogenen Augenbraue (sie) oder einem Dackelblick (er) die Story zum Schwingen zu bringen. Herrlich, wie Juhnke den Treudoofen gibt, wenn Frau Hörbiger im Managermeeting ihr Fachchinesisch über internationale Geschäftemacherei abspult. Wunderbar, wenn er später in der Philharmonie völlig entrückt das Konzert mitdirigiert, während die Hörbiger indigniert auf seine Hände starrt.

In seinen besten Momenten hat „Die letzte Chance für Harry“ die Klasse eines „Schtonk“ für Arme. Einmal mehr zeigt sich hier, daß die wirklich Guten durch nichts zu bremsen sind. Nicht durch schmale Budgets, einfallslose Regisseure, banale Bücher oder zweitklassige Schauspielkollegen. Und trotzdem müßte das alles doch nicht sein, oder? Klaudia Brunst