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Buck und die Folgen

Es dösen weniger – doch Detlev Bucks aktueller Film erfüllt Komödienerwartungen eher spärlich: Die Beggars'-Story hat sich der neuen Freundlichkeit verschrieben  ■ Von Gudrun Holz

Detlev Buck ist genervt. Fingertrommeln. „Nö, wieso denn, ich mach doch kein ,Karniggels‘ Teil drei und vier!“ Und überhaupt, diese Leute, die ihn ständig fragen, warum er denn nun die Obdachlosen abgezogen hätte – die sind doch beknackt, die waren wohl im falschen Film.

Aber worum geht es wirklich in „Liebe Deine Nächste“? Von Denunzierung oder Ausschlachtung der obdachlosen Menschen als Filmkulisse kann jedenfalls nicht die Rede sein. Mit dem gleichen Recht etwa könnte sich die Mafia bei Herrn Coppola beschweren oder der Berufsstand der Banker über jeden dritten Film, der sie als leblose Subjekte mit sinistrer Seele darstellt. Außerdem hat Buck vorgebaut. Derart erleichtert kann man in der Verlautbarung des Verleihs – die extra aufgemacht ist wie die U-Bahn-Postille motz – nachlesen, daß weder die Obdachlosenselbsthilfe („Wir wünschen den Filmemachern viel Erfolg“) noch die Heilsarmee ihren Ruf besudelt sehen. Im Gegenteil, eine Majorin, ein einfacher Soldat und der Berliner Kapitän der selbsternannten heiligen Krieger geben sich amüsiert und sind eher neidisch auf die „schicken Uniformen“, die im Film getragen werden.

Also blaue Hütchen, blaue Langmäntel, die optisch gut in die bläulichen Filmlichtverhältnisse des dunstigen Molochs Stadt passen – schließlich sind wir hier ja nicht bei „Sister Act“. Und schon nimmt das Teleobjektiv die Leute unter die Lupe, um die es wirklich geht, eine in die Fremde verschlagene Heilsarmistin namens Josefine und Moritz Bleibtreu als eine Art Reinigungsmann für unrentable Betriebe.

Beide sollen sich nun nach dem Willen des Regisseurs in der Folge beharken wie Greta Garbo und ihr Filmpartner in „Ninotchka“. Den Part der weiblichen Festung gibt dabei Ex-Model Lea Mornar, die bisher in Clips von Suede und den Toten Hosen vor der Kamera stand. Alles läuft dann soweit nach Plan, und ein mäßig vertracktes Techtelmechtel bahnt sich an. Man kennt das ja, wenn Welten aufeinanderkrachen.

Denn Moritz Bleibtreu spielt diesmal den Bösen. Eine in kranker, grüngrauer Beleuchtung diffundierende Firmenzentrale ist sein Wirkungskreis. Als Effizienzhengst Tristan Müller, assistiert von einem Kofferträger (Heribert Sasse), lautet sein Motto „EDV“ (Es Dösen Weniger), mit dem er eine Truppe verschreckter Bürogestalten auf Trab bringt. Das ist ziemlich komisch, und die paar Szenen stellen gleichzeitig ein kleines Biotop Buckschen Humors in diesem Film dar. Die eigentliche Karawane zieht woanders lang.

Da geht es um Atmosphärisches, die sorgfältig ausgestattete Welt des Obdachlosenasyls, braun und dreckfarbig als Dickenssche Vorhölle, knapp am Sozialkitsch vorbei. Hier missioniert Leutnant Josefine gemeinsam mit Leutnant Isolde (Heike Makatsch) die Penner und Pennerinnen, die seltsamerweise „Kunden“ heißen. Aber schließlich ist die als Salvation Army 1865 in London gegründete christliche Armeefraktion ja auch ansonsten skurril. So heißt beispielsweise ihr Öffentlichkeitsorgan nicht etwa Wachtturm, sondern Kriegsruf und tragen ihre weiblichen Mitglieder noch heute eine gepolsterte Kappe mit Kinngurt, der in der Entstehungszeit gegen Ei- und Tomatenabwürfe wappnen sollte.

In der Buckschen Galerie eigenartiger Typen ist mittlerweile nicht nur die des Joachim Król vakant. Überhaupt ist er ein Gegner des zwanghaften Type-Castings, auch was seine eigenen Rollen betrifft: „Erst war das der Bauer und dann, nach ,Männerpension‘, immer nur der Knacki, das ist doch öde. Genauso wie Malkovich, der immer nur den Knallkopp spielt.“ Weshalb er wohl in „Liebe Deine Nächste“ gleich eine Triple-Rolle als serviler Hotelrezepetionist übernahm, als Einsatzkommandobulle und als Penner (!) mit gleichbleibender Klischeetreue; während bei Heike Makatsch bei den Proben für die undankbare Rolle der zickigen Leutnantin Isolde „Tränen flossen“.

Bleibt mancherorts die Quälerei unübersehbar, verhält es sich im Fall von Lea Mornar ganz anders, die wie eine verschreckte Fee mit Schmollmund durch den Film hüpft, stottert und deklamiert. Wenn man sich erst mal an ihre Erscheinung mit den aufgerissenen Augen gewöhnt hat, freut man sich jedesmal, wenn sie als Josefine wieder zu einem ihrer wie Zauberformeln verkündeten Sätze („Haben Sie das Geld, ja? Dann kann ich ja gehen, oder?“) anhebt. Schließlich konnte Mornar zu Beginn der Dreharbeiten kaum Deutsch und lernte die Dialoge erst einmal phonetisch.

Geld – vor allem in roten Scheinen und gleich kistenweise, bedeckt von romantikverheißenden roten Rosen – ist auch der Dreh- und Angelpunkt dieses Films, der Komödienerwartungen eher rar erfüllt. Passender vielleicht die Einordnung als atmosphärische Sozialposse. Eine berlineske Beggars'-Story, die sich einer neuen Freundlichkeit verschrieben hat. Jeder steht auf seinem Plätzchen. Sei es beim Gelage der Leutnants mit ihren Schutzbefohlenen im Nobelrestaurant, wo der böse Beggar gegen die Etikette verstößt, oder Moritz Bleibtreu, der als Kommerzler zuerst wenig Sympathie erwirbt und dann doch per Scheck zum „Ritter der Barmherzigkeit“ wird. Es ist genug Platz im Genrebild. Apropos Kameramann. Joachim Berc, Nachfolger von Slavomir Idziak („I Want You“, „Gattaca“), der „Männerpension“ filmte, traf Buck bei den Werbedrehs für den Sender Premiere. „Ich brauche das, ich kann nicht warten wie Franziska van Almsick, bis ich in vier Jahren wieder ran darf.“

„Liebe Deine Nächste“. Buch und Regie: Detlev Buck. Mit Moritz Bleibtreu, Lea Mornar, Heike Makatsch u.a. D 1998, 90 Min.

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