■ Wäre Rudi Dutschke heute ein völkischer Nationalist?
: Der Nationalbolschewist

Es ist ein Abgang, der traurig macht. Bernd Rabehl, der einstige Weggefährte des heute vor 29 Jahren gestorbenen Rudi Dutschke, hat die Schwelle des Nationalismus endgültig überschritten. Seine Rede über die nationalrevolutionären Ansätze von 1968 und die heutige Lage der Deutschen ist keine „heimliche Dialektik von Internationalismus und Nationalismus“ mehr, wie es Kraushaar 1992 zurückhaltend beschrieb. Hier geht es um völkischen Nationalismus, wie er auch in nationalbolschewistisch-antiwestlich gestimmten Rentnerklubs der SED anzutreffen ist. Rabehl verfällt in den Duktus eines konservativen Revolutionärs, der sein „Volk“ wachrütteln will, das angeblich beherrscht ist durch amerikanisch ferngesteuerte Eliten und „keinerlei Kultur oder Identität“ mehr besitzt.

Rabehls Analyse lautet: Die Bundesregierungen haben vor den Flüchtlingsströmen und den in ihrem Schutz operierenden terroristischen „Partisanenformationen“ kapituliert. Die „Überfremdung“ vollendet das durch amerikanische Umerziehung begonnene Werk der Auflösung deutscher Kultur. Fischer und Scharping stellen nun „deutsches Kanonenfutter“ für das Zeitalter ethnisch bestimmter Kriege bereit. Eine Debatte zu „Überfremdung“ und „Auflösung nationaler Kultur“ wird von „Antifa-Linken“ im Bündnis mit „bestimmten“ Medien im In- und Ausland blockiert. Die „deutsche Kulturintelligenz“ wird „in die Schuldfrage der Verbrechen im Zweiten Weltkrieg“ eingebunden und dadurch paralysiert.

Für Rabehl sind seine heutigen Positionen logische Konsequenz des von Fanon für Lateinamerika entwickelten „Befreiungsnationalismus“, den er und Dutschke in den 60ern diskutierten. Damals wollten sie das Konzept auf deutsche Verhältnisse übertragen. Im Kampf gegen die USA und UdSSR sollte angesichts eines „fetten und impotenten“ Mittelstandes die ost- und westdeutsche Arbeiterklasse die Nation neu formieren. Eine Tragikomödie: Rabehl will mit dieser Rede das Vermächtnis seines toten Freundes Dutschke – so, wie er es versteht – wachhalten. Dies macht die Sache nicht besser.

Schöner wäre es gewesen, der für seine Polemik bekannte Professor für Soziologie hätte sich mit mir angeschrien und danach die Rede öffentlich zu einem mißglückten Scherz erklärt. Einen Scherz, den er sich zu seinem 60. Geburtstag habe leisten wollen, um die Sensibilität einer aufgeklärten und liberalen Linken zu testen. Martin Jander

Der Autor arbeitet im Forschungsverbund SED-Staat der FU-Berlin