„Wir sind bereit, unsere Leben zu beenden“

Südkoreanische Polizisten räumen mit einem Großaufgebot den von Mönchen besetzten Chogye-Tempel in Seoul. In dem buddhistischen Orden tobt seit Wochen ein Machtkampf zwischen verfeindeten Fraktionen  ■ Aus Seoul Dirk Godder

Der Tempel des Chogye-Ordens im Zentrum Seouls ist nicht nur eine Touristenattraktion, sondern auch ein Ort der Meditation und Ruhe in der Elf-Millionen- Metropole. Doch die sonnige Stille auf der einen Seite der Haupthalle mit buntem Glockenpavillon und Pagode stand gestern morgen im krassen Gegensatz zu den Vorgängen, die sich auf der anderen Seite der Halle im Hof des Chogye- Tempels zutrugen. Vor dem Verwaltungsgebäude türmten sich zerschlagene Möbel und Bretter, lagen Glassplitter und Wurfgeschosse. Zahlreiche Fenster waren eingeschlagen, eine Seite des Gebäudes immer noch mit Stahlplatten zugeschweißt.

Kurz zuvor hatten Hunderte Polizisten unter Einsatz von Wasserwerfern und Tränengas das Tempelgelände gestürmt, um mehr als hundert selbsternannte Reformmönche zu räumen, die den Verwaltungstrakt seit Wochen besetzt hatten. Vorausgegangen war ein entsprechender Gerichtsbeschluß, der von der gegnerischen Mönchsfraktion erwirkt worden war. Der Vorfall erinnerte auf den ersten Blick an Bilder, wie sie ofter bei Streiks in Süd-Korea zu sehen sind. Zuletzt hatten Polizisten im September Fabriken des größten Autozulieferers Mando gestürmt, um einen Streik zu beenden.

Auch die Mönche ergaben sich dem Großaufgebot von insgesamt fast 5.000 Polizisten nicht freiwillig. Sie wehrten sich gegen den Zugriff mit Brandbomben, Steinen und Flaschen. Zwei Mönche, die sich das Hemd vom Leib rissen, drohten damit, sich mit Benzin zu verbrennen. Den herannahenden Polizisten riefen sie von einem Balkon entgegen, sie seien bereit, den „Märtyrertod“ zu sterben. „Wir werden niemals zurückweichen. Wir sind bereit, unsere Leben hier zu beenden.“ Sie wurden im Verlauf der 40minütigen Aktion ebenso abgeführt wie hundert andere Besetzer und ihre Anhänger. Die Bilanz der Auseinandersetzung: mindestens 20 Verletzte auf beiden Seiten, hoher Sachschaden und weiterer Schaden für den Ruf des größten buddhistischen Ordens Süd-Koreas.

Der wichtigste Tempel in Seoul und Hauptsitz des Ordens war seit mehreren Wochen Schauplatz von Auseinandersetzungen zwischen zwei rivalisierenden Mönchsfraktionen um eine neue Ordensführung. Die Besetzer waren Mitglieder eines Reformkomitees, das sich die „Reinigung“ auf die Fahnen geschrieben hat. Seit dem 11. November hatten sie das Tempelgelände unter ihrer Kontrolle. Mit der Besetzung verhinderten sie die Wahl einer neuen Klosterverwaltung und zwangen den bisherigen Verwaltungschef Song Wolju zur Aufgabe seiner Kandidatur. Der 83jährige wollte sich zum dritten Mal zur Wahl stellen, was nach Ansicht der Reformer aufgrund der Ordensstatuten „illegal“ ist.

Der Streit zwischen den Mönchen ist ein Kampf um Macht und Geld. Der Ordenschef kontrolliert Finanzen von mehreren Millionen Mark und wertvolle Grundstücke. Zudem kann er die Leitung von landesweit mehr als 1.200 Tempeln bestimmen und geistliche Ämter vergeben. Der Orden hat mehr als 8 Millionen Anhänger. Er beruft sich bei seiner Lehre auf verschiedene Zweige des meditativen Zen- Buddhismus. Nach der Räumung hoffen die Anhänger auf Versöhnung und einen Neuanfang. Doch Kenner des Ordens halten auch eine dauerhafte Spaltung in zwei Hauptgruppen für möglich.