Gesammelte Knochenbrüche...

...und andere Dekonstruktionen: Die Zwinger Galerie zeigt schwarzweiße Tuschzeichnungen von Heinz Emigholz. Privatmythologie meets Politik, Schminke und filmische Bildproduktion  ■ Von Brigitte Werneburg

Man tut gut daran, sich auf einen der vier Stühle im Galerieraum zu setzen. Und dann heißt es Film ab. Das ist metaphorisch gesprochen. Denn bei den Bildern von Heinz Emigholz, die derzeit in der Zwinger Galerie zu sehen sind, handelt es sich nicht wirklich – also im technischen Sinne – um Filmbilder. Es handelt sich um Zeichnungen aus der Zeit von 1974 bis 1998. Freilich haben sie in sich selbst eine filmische Anlage – und immer wieder mit dem Thema Film zu tun. Innerhalb von 25 Jahren kommt natürlich eine Menge Stoff zusammen.

Während unsere menschlichen Kameraaugen noch immer fasziniert von Bild zu Bild zoomen, leidet unser Stativ, das heißt, leiden unsere Beine schon längst an heftigen Ermüdungserscheinungen. Doch, wie gesagt, es gibt ja Stühle. Sitzt man erst einmal bequem, taucht man in einen wahren Bilderkosmos ein.

Es ist das eigene wie das politische und öffentliche Leben, das in den schwarzweißen Tuschzeichnungen zutage tritt, wobei es immer eine private Mythologie ist, die die zwei Bereiche verknüpft, manchmal auf die sonder-, manchmal auf die wunderbarste Weise. Immer wieder ist etwa der Regisseur Josef von Sternberg zu erkennen.

Mal in einer imaginierten Szene wie etwa am Bahndamm von Achim bei Bremen, dem Geburtsort von Emigholz. Mal ist Sternberg aber auch nach existierenden Fotografien gezeichnet: „Josef von Sternberg und Frieda Grafe am Flughafen München Riem 1963“, heißt ein anderes Bild von 1997. Oft haben die Zeichnungen eine Fortsetzung, oder sie nehmen ein früheres Thema wieder auf.

„Ach im“, diese Worte lassen sich wie in einem Bilderrätsel oder Rebus in einer frühen Zeichnung entschlüsseln. „Ach im Sande muß ich sterben“, wollte angeblich ein entlaufener Leibeigener sagen, der kurz vor der Freiheit verheißenden Stadt Bremen geschnappt wurde; doch weiter als „ach im“ kam er nicht mehr, so will es die Sage um den Dorfnamen. Bei Emigholz nun transportiert ein Förderband die Sanddünen von Achim in die Freie Hansestadt Bremen, wo der Sand in hohen Betonhäusern verbaut wird. Ach in Bremen ist der Sand also geblieben...

Das Eintauchen als Untergehen

Heinz Emigholz blieb nicht dort, wo er 1948 geboren wurde. Nach einer Lehre als Fotoretuscheur studierte Emigholz Sprachwissenschaften in Hamburg. 1968 begann er zu filmen. Sein erster längerer Film, „Schenec-Tady I“ brachte ihm ein Stipendium nach Amerika. 1974 entstanden in New York die ersten Zeichnungen, die schließlich zu dem großen Komplex „Die Basis des Make-up“ wuchsen. Die Basis des Make-up? So stand es unter dem Foto eines Totenschädels, den Emigholz damals in einem Buch über Make-up-Techniken fand. Die Bildunterschrift begleitet ihn seither. Nicht nur sein zeichnerisches Werk, sondern auch ein Spielfilm aus dem Jahr 1983 über die Liebe und ihre Grausamkeiten trägt sie als Titel.

Seit 1993 hat Heinz Emigholz eine Professur für experimentelle Filmgestaltung an der Hochschule der Künste in Berlin, wo er nun die Grundlagenkenntnisse zur Technik des Films, des Make-ups und des Zeichnens an die Studenten weitergibt (siehe taz vom 15.12.). Heinz Emigholz' Zeichnungen sind auf Fotopapier abgezogen, erscheinen also hochglänzend und ohne handwerklichen Strich. Im immer gleichen Format von 60 x 50 cm sind auf vier Wänden 156 Bilder ausgestellt. Da sieht man nun Aristoteles und Jacqueline Onassis im Fonds eines Autos sitzen, da gibt es die gesammelten Knochenbrüche des Filmemachers und Künstlers, Fahrradstürze scheinen eine maßgebliche Rolle dabei gespielt zu haben; man sieht Benito Mussolini und seine Geliebte, aufgehängt in Vittoriale, „Heinz Fuchs am Omaha-Beach“, eine Zeichnung, in die Robert Capas zerstörte Landungsfotografien eingeflossen sind; oder „Arrowplane BKA“, eine Zeichnung, die Andreas Baaders Selbstmord rekonstruiert – und, wenn man genau schaut, mindestens ebenso dekonstruiert.

Es wäre vermessen zu sagen, daß man sich der enzyklopädischen Erzählweise Emigholz' ohne weiteres gewachsen fühlte. Die Feinheiten, der Detailreichtum, die Kamerafahrten im Bild und die Schnitte von der Totalen in die Nahe, die privaten Assoziationsketten sind oft schwer zu deuten. Gleichzeitig ist es enorm spannend, die Positiv-Negativ-Formen zu durchdringen, im Kopf umzudrehen und sich seinen Reim darauf zu machen; die abstrakten Formen und die figürlich-narrative Struktur in eigene Bilderrätsel weiterzudrehen. Das Eintauchen als Untergehen in Emigholz' Bilder- Kosmos ist eine ungemein angenehme, erfrischende Erfahrung. Überforderung? Man muß ja nicht immer alles unter begrifflicher Kontrolle haben. Man will es ja auch gar nicht; und am Ende, das weiß man ja, steht immer die Basis des Make-ups.

Bis 9. Januar, Di–Fr 14–19, Sa 11–17 Uhr, Zwinger Galerie, Gipsstraße 3, Berlin-Mitte