Arztroman, Folge 4: Gefangene der Leidenschaft Von Fanny Müller

Nachdem ich alle meine Bücher durchgelesen habe und das Radioprogramm mich nicht mehr so richtig nach vorn bringt – es gibt nur drei Programme; NDR 3: klassische Musik, NDR 1: deutsche Schlager, die hier Volksmusik heißen („Bis in alle Ewigkeit bleibt die Spur der Zärtlichkeit“. Igitt. Bloß nicht drin ausrutschen), und NDR 2 am Morgen bzw. Mittag bzw. Abend: „Ein Sender – alle Hits“ („...und jetzt kommt der Bruder von Fernet Branca – Eros Ramazzotti.“ Haha.) – nachdem ich mit all dem durch bin, schnüre ich durch die Flure und schaue mich in den Aufenthaltsräumen nach Lektüre um. Da haben ehemalige Patienten ihre weggelesenen Bücher und Zeitschriften deponiert.

Mir schwebt was Leichtes vor. Ich denke an Simenon, meinetwegen auch an Agatha Christie. Eine Wahl gibt es aber nur zwischen Konsalik und Lodernde Leidenschaft, Fesseln der Leidenschaft, Lodernde Träume, Gefangene der Leidenschaft und Sturmwind der Zärtlichkeit. Ich entscheide mich für Gefangene der Leidenschaft. Gefangene scheint mir irgendwie passend zu sein für meine derzeitige Situation. Gefangene der Leidenschaft ist ein historischer Roman und spielt im 12. Jahrhundert in England. Aus irgendwelchen Gründen, die ich mir nun wirklich nicht merken konnte, muß die jungfräuliche Lady Rowena einen Mann vergewaltigen, den man ihr gefesselt bringt. Er entflieht, kommt zurück und vergilt dann Gleiches mit Gleichem. Jedenfalls ungefähr. Leseprobe: „Sie merkte gar nicht, daß er auf sie gestiegen war, doch als sein hartes Glied langsam und dennoch leicht in ihre heiße Grotte glitt...“ So leicht wollte ich die Lektüre dann doch wieder nicht haben. Auf dem Titel ist übrigens ein Gigolo mit gelgestärktem Haupthaar zu sehen, der eine Schlampe mit blauem Lidschatten im Arm hält. „Sie kennt die geheimsten Träume der Frauen... Joanna Lindsey erschafft Märchen, die Wirklichkeit werden“, wird auf der Rückseite über die Autorin berichtet. Das würde ich so nicht direkt unterschreiben. Die Angelegenheit firmiert übrigens unter „romantischer Frauenroman“. Da möchte man sich einen realistischen ja lieber nicht vorstellen. Dann doch lieber zur Amica greifen: Aus einer Reportage über Schiesser erfahre ich, daß die deutsche Frau jährlich 4,5 Slips und 1,3 BHs kauft, der deutsche Mann hingegen 27 Mark pro Jahr für Unterwäsche ausgibt bzw. seine Frau oder seine Mutter und „einer Unterhose im Schnitt“ (oder im Schritt – ?) sieben Jahre treu bleibt“. Wahrscheinlich länger als seiner Frau oder Mutter. Befragung: Was ist Ihnen an einer Männerunterhose wichtig? An 7. Stelle ist Männern an einer Männerunterhose wichtig, daß sie bei 60 Grad gewaschen werden kann. Frauen schon an 3. Stelle.

Ich würde ja 200 Grad vorschlagen; sieben Jahre sind eine lange Zeit. Den Top 9 der Männerunterhosen – Feinripp-Modelle – entnehme ich, daß Nr.1 Karl-Heinz heißt und Nr.2 Walter. Karl-Heinz ist weiß mit Eingriff, und Walter ist Karl-Heinz mit Muster.

Apropos Unterwäsche: Für kurze Zeit bekomme ich eine Zimmergenossin. Man glaubt es ja nicht, was auf dem Sektor Damenschlüpfer heutzutage noch im Handel erhältlich ist. Aber wenn ich noch einmal „Mein Mann sagt auch...“ hören muß, dann passiert was.