Peter Unfried
: Tor für Deutschland

■ Moments '98: Wie ich exklusiv eine Spielerrebellion bei der WM anzettelte

Was den Fußball betrifft, so vollzog sich im Moment des Jahres das wunderbare Tackling von Frank de Boer gegen Ronaldo. Das war am 7. Juli 1998 im Stade Velodrome zu Marseille. Verlängerung im WM-Halbfinale. Es wurde ja an dieser und ähnlicher Stelle bereits so oft versucht, dies zu manifestieren, daß nun schlecht etwas anderes behauptet werden kann. (De Boer grätschte übrigens noch einmal fast genausoschön; im WM-Spiel um den dritten Platz – diesmal gegen den einschußbereiten Davor Suker.) *

Der Rest sind dagegen nur Momentle. Eines davon passierte bei einer Pressekonferenz des niederländischen Fußballteams in Gelsenkirchen.

Pressesprecher: Erste Frage?

Niederländischer Journalist (eher beiläufig): Wie sieht die Aufstellung aus, Frank?

Rijkaard (blickt freundlich auf): „Van der Sar, Reiziger, de Boer, Stam...“

(Nur falls das nicht hunderprozentig klar sein sollte: Normalerweise muß man bei so einer Frage natürlich erstens unwirsch schauen, zweitens in die Luft gucken, drittens barsch antworten: „Wir haben 22 gleichwertige Spieler, ja.“ *

Einmal, früh im Jahr, stand in der Berliner Zeitung ein schöner Satz. „Leider ist Moravetz' Frage so oft und von jedem Idioten zitiert und mißbraucht worden, daß sie etwas von ihrem Glanz verloren hat“ (Alexander Osang). Das allein macht natürlich noch kein Momentle. Später im Jahr aber erklang in einem Berliner Kaufhaus aus einem Kopfhörer ein Stück Popmusik. „Wo, wo, wo“, summte Marius Müller-Westernhagen da auf seiner neuen CD, „ist Behle?“ *

Als das dritte olympische Rodelgold glücklich sein war, schrie der deutsche Fernsehjournalist Klaus Angermann gewohnt enthemmt den Satz in die Wohnstuben der Heimat: „Das ist der größte Triumph seit der deutschen Wiedervereinigung.“ Es war der angemessene Höhepunkt seiner Laufbahn als nationaler Schreihals. Danach rutschte er über die Altersgrenze und wurde vom ZDF in allen Ehren entsorgt. Man könnte meinen, dies sei für sensible Fernsehzuhörer eine Erleichterung. Aber nun ist etwas Seltsames passiert. Wenn immer das ZDF Rodeln überträgt (und Radeln übrigens auch), fühlt es sich nicht mehr wie früher an. Irgend etwas fehlt. Unlängst ertappte man sich dabei, wie man heimlich zu Eurosport wechselte (wo Angermann die Rente aufbessert). Und nun die Moral: Wahrscheinlich hatte Rudi Kranzow doch recht, der zur Verteidigung seiner Arsch- und-Titten-Show sagte: „Mit Geschmack gehst du baden“ (Der König von St. Pauli). *

Der Nationalspieler war mächtig erregt. „Der Trainer muß mal nachdenken“, sagt er. Aufgeregt drehte ich mich um und raste die Mixed Zone von Montpellier einmal mit den Augen rauf und runter. Alle anderen Kollegen waren weiter vorn beschäftigt. Keiner stand in Hörnähe. Ich stand nur so rum, eigentlich. Und nun hatte ich eine exklusive WM-Sensation. Was ist das Problem, fragte ich schnell und betont harmlos. „Der Trainer hört zu sehr darauf, was bestimmte Spieler sagen“, schnaubte der Nationalspieler. „Der Trainer...“ Er klopfte mit der Finger an seine Stirn. „Spielerrevolte gegen WM-Coach“, ratterte es durch mein Hirn. Was muß der Trainer tun, fragte ich leise. „Der Trainer muß nachdenken“, sagte der Nationalspieler noch einmal, aber lauter. „Ich muß das nächste Mal von Anfang an spielen.“ Sehr gut, dachte ich und rannte davon: „Nationalspieler stellt Trainer Ultimatum!“ Stoppt den Andruck, rief ich aufgeregt in das mobile Telefon. Das heißt, ich wollte eben es rufen. Da aber zuckte ein kleiner Blitz durch mein Hirn: Wen, zum Teufel, interessierte Kamerun? *

Auf einer Treppe in Paris stand mitten im Juli eine nicht eben große, dafür junge Frau und unterhielt sich mit einem kräftigen Kerl mittleren Alters. Dieser Kerl mußte einst glänzend ausgesehen haben und tat es in gewisser Weise heute noch. Eigentlich sah er aus wie Jairzinho, nur 25 Jahre älter. Nun ja. Natürlich war es Jairzinho. Ich dachte: Mein Gott. Dieser Mann hat in Guadalajara einst Terry Cooper schwindlig gespielt, das Siegtor gegen den Weltmeister geschossen, danach fünf und im Finale von Mexico City noch eins. Ich dachte an meine Enttäuschung, als er 1974 nicht annähernd das zu tun in der Lage war, was ich von ihm erwartet hatte. Und nun stand er da auf der Treppe. Ein paar Tage später richtete ich es so ein, daß ich in einem Restaurant in der Innenstadt neben der jungen Frau zu sitzen kam.