Engel im freien Fall

■ Stücke von Werner Fritsch, Simone Schneider und Albert Ostermaier kamen in Mannheim in einer Dreifach-Uraufführung auf die Bühne

Der Monolog ist heute ein Lieblingskind des Theaters. Hat die Bühne doch mit den einsamen Redenschwingern eine klare Vereinbarung getroffen. Nach dem Motto: „Dir die Sprache, mir das Bild“ läßt sich gut Freund sein. Doch so leicht sich das denkt – das Lieblings- trennt vom Sorgenkind zuweilen nur ein Katzensprung. Das Nationaltheater Mannheim hat an einem einzigen Abend gleich drei seiner Lieblinge auf die Bühne gehievt: Werner Fritsch wird hier in Kürze Hausautor sein. Simone Schneider und Albert Ostermaier waren es bereits. Schneiders „Orwell“ ist 1996 als Auftragswerk des Hauses von Armin Petras uraufgeführt worden. Eine Spielzeit später hat Christoph Biermeier die Zweitinszenierung von Ostermaiers Bühnenerstling „Tollertopographie“ besorgt. Nun steht der junge Regisseur einer dreifachen Uraufführung gegenüber – von Texten, die wenig mehr als eine grandiose Atemlosigkeit teilen und eine seltsam hermetische Dramatik, die nicht gerade nach der Bühne schreit. „Lost Angels“ nennt sich das Projekt.

Das Problem der Identität und ihrer Unmöglichkeit wird vielleicht einmal als das Problem des Jahrhunderts erinnert werden. In Mannheim wird es ausgerechnet dort am augenfälligsten ins Bild gesetzt, wo der Mensch noch halbwegs intakt scheint: Fritschs „Cherubim“-Monolog hat sich in drei Körper und fünf Stimmen aufgelöst. Eine von ihnen gehört Wenzel Heindl seelig, ehedem Knecht auf Werner Fritschs Elternhof im oberpfälzischen Waldsassen, dessen erlebte Phantasien vom „Urloch“, den „Hiltlers“ und wilden „Yumas“ er früh zur Prosa und später auch zu einem Film verarbeitet hat. Hier nun lebt Wenzel sein viertes Leben. Mindestens: Dinu Ianculescu, der alte und schweigende Dritte auf der Werkhausbühne, hat ein lächelndes Wenzelgesicht. Die beiden jüngeren Schauspieler teilen sich seine Worte. Aber ach, der Charme des Textes, in dem der Autor das derbe Idiom und das naiv-poetische Weltbild des Knechtes nachgebildet und verdichtet hat, übersteht die Teilung nicht. Die Mannheimer Wenzels plaudern so flockig drauflos, als wär' ihnen der Schnabel zum Reden gewachsen und nicht die Hände zur Arbeit und der Rücken so krumm. Wenzels verquere Weisheit aber ist der Bühne nur ein Schenkelklopfen wert.

Vor der Pause noch ein rascher Sprung vom lustigen Land in die brodelnde Stadt, mitten in unser Endzeit-Jahrtausendende hinein. Simone Schneiders Drogenprosa „Alex“, ungebremst von Punkt und Komma, liest sich wie im Delir und macht neugierig auf die Konturen, die ihr die Bühne gibt. Die aber setzt Punkt und Komma dort, wo Punkt und Komma hingehören – in Kochrezepten und anderen Texten. Eine brave Kochrezeptleserinnenstimme spricht von Menschen als „Blutkörper im kolossalen Kreislauf“, von „Schwellkörperimplantaten“ und grauer Haut. Dazu hetzt Almut Henkel mit wehenden Haaren hin und her und hält sich eine Neonröhre an das Hirn, das brennt. Weil das immerhin ein illustres Licht macht, hat man Zeit, die adernzerfurchten Metallwände zu betrachten, die Ilona Lenk ins Studio Werkhaus gestellt hat: Ein Stadt-Mensch- Technik-Geflecht, in dem verschiedentlich Licht durch verschiedene Gitter fällt.

Nach der Pause dann sind nur ein paar Bildschirme dazugekommen, und plötzlich senden Text und Inszenierung auf derselben Frequenz. Und zwar mit Karacho, mit Tango, Techno und einer Stephanie Eidt als Parthenope, die sich durch Ostermaiers rasende Theaterlyrik räkelt und haucht, daß einen ihre Erotik förmlich anspringt. Die Frau ist Nighttalkerin im Radio, zielt mit Stimme und langen Gliedern souverän in die Sehnsüchte der Einsamen der Nacht und richtet sie aufs Verderben. Im Bild aber erscheint ihr anderes Gesicht in Großaufnahme: Trauer in den Augen und ein Stück schon vom Tod – dem eigenen. Eine Verletzte, die zum Todesengel wird, weil sie an die Liebe nicht mehr heranreicht. Am Ende hat man drei Lieblingskinder gesehen: Ein zu rasch Verblühtes, ein zu kurz Gehaltenes und eines in voller Pracht. Die morbide Schönheit von „Radio Noir“ hat nur einen Makel, und den teilt sie mit dem Text. Es ist die Selbstverliebtheit. Sabine Leucht