Die sieben mageren Jahre

Mit der neuen Insolvenzordnung ab dem 1. Januar können Privatleute schuldenfrei werden. Der Weg ist mühsam und zwingt zum Leben am Existenzminimum  ■ Von Ralf Oberndörfer

Berlin (taz) – Pleite machen ist nicht schwer, pleite sein dagegen sehr. Nach Angaben der Schuldnerberatung Julateg e. V. in Berlin sind in Deutschland etwa zwei Millionen Haushalte überschuldet, Tendenz steigend. Sie können ihren regelmäßigen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen. Wer bisher als Privatpeson in diese Situation kam, hatte kaum Aussichten, in einem Menschenleben vom Schuldenberg jemals wieder herunterzukommen und neu anzufangen. 30 Jahre beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist, die von den Gläubigern durch einen vollstreckbaren Titel unterbrochen und damit weiter in die Länge gezogen werden kann. Selbst wer bemüht war, seine finanzielle Schieflage wieder ins Lot zu bringen, hatte angesichts eines Lebens in dauernder Schuldknechtschaft ein gravierendes Motivationsproblem.

Juristisch heißt die Pleite „Insolvenz“, und die neue Insolvenzordnung, die am 1. Januar 1999 in Kraft tritt, schafft mit der Verbraucherinsolvenz erstmalig ein Mittel, das dem „redlichen Schuldner“ eine vollständige Schuldenbefreiung nach sieben Jahren auch ohne Zustimmung seiner Gläubiger ermöglicht. Begriffe wie „Verbraucher“ und „redlich“ stellen klar, welcher Zielgruppe geholfen werden soll: ArbeitnehmerInnen, die ihren Kredit fürs Eigenheim nicht mehr bedienen können, weil sie arbeitslos werden, oder BürgerInnen, die ihrer Pflicht zur Ankurbelung der Binnennachfrage in selbstgefährdendem Umgang nachkamen und plötzlich nicht mehr wissen, wovon sie die schönen Dinge aus den Versandhauskatalogen bezahlen sollen, nachdem sie geliefert wurden. „Es sind auch häufig normale Arme“, sagt Sibylle Pursche, Rechtspflegerin in der Insolvenzabteilung des Amtsgerichts Charlottenburg in Berlin. „Die beziehen zwar ein geregeltes Einkommen, aber wenn Waschmaschine und Spülmaschine gleichzeitig kaputtgehen, haben sie ein Problem.“

Im neuen Verfahren der Verbraucherinsolvenz hat der Schuldner zunächst die Möglichkeit, seinen Gläubigern eine außergerichtliche Einigung vorzuschlagen. Er darf dabei keinen der Gläubiger vergessen und muß, möglichst mit Hilfe einer Schuldnerberatung, einen detaillierten Schuldenbereinigungsplan aufstellen, aus dem hervorgeht, wann er wem welchen Betrag bezahlen wird. Dabei hat er von einer Einmalzahlung übers Abstottern bis hin zu flexiblen Klauseln, die auf veränderte Einkommenssituationen Rücksicht nehmen, viel Gestaltungsraum. Nur wenn alle Gläubiger zustimmen, kommt es zu einer außergerichtlichen Lösung. Alles muß der Schuldner dabei nicht bezahlen, der Plan muß seiner Finanzsituation angemessen sein und ernsthaftes Bemühen erkennen lassen.

Scheitert der außergerichtliche Weg, braucht der Schuldner darüber von einer staatlich anerkannten Schuldnerberatung eine Bescheinigung. Wenn er dann Verzeichnisse über sein Vermögen und Einkommen, seine Schulden, seine Gläubiger und weitere Unterlagen zusammen mit dem 32seitigen amtlichen Formular ordnungsgemäß zusammengestellt hat, kann er das gerichtliche Verfahren beim Amtsgericht beantragen. Auch hier steht ein penibel zu befolgender Schuldenbereinigungsplan im Zentrum, allerdings reicht eine mehrheitliche Zustimmung der Gläubiger aus, und das Gericht kann die Zustimmung eines Gläubigers ersetzen.

Lehnen die Gläubiger den Plan mehrheitlich ab, bleibt als letzte Möglichkeit die Restschuldbefreiung. Dabei braucht der Schuldner keine Zustimmung seiner Gläubiger mehr. Er muß zunächst ein vereinfachtes Insolvenzverfahren durchlaufen. Dabei wird ein Treuhänder bestimmt, der als Mittelsperson zwischen Schuldner und Gläubigern fungiert. Die Gläubiger müssen ihre Forderungen beim Treuhänder anmelden und in eine Insolvenztabelle eintragen lassen. Dann verwertet der Treuhänder ähnlich einem Gerichtsvollzieher sämtliche Habseligkeiten, die der Schuldner nicht unbedingt braucht, und verteilt den Erlös an die Gläubiger. Ihr Anteil am Gesamtschuldenberg ist Maßstab für ihren Anteil am Geld, das der Schuldner für die Zahlung seiner Schulden aufbringen kann.

Wenn Otto Normalbesteller 100.000 Mark Schulden hat und dem Versandhaus Quetzalcoatl [Name geändert] davon 10.000 für Trimmgeräte zustehen, sind das zehn Prozent. Wenn die Verwertung des Hausrats von Herrn Normalverbraucher 40.000 Mark erbringt, gehören Quetzalcoatl davon 4.000 Mark. Gleiches gilt für die siebenjährige Phase des „Wohlverhaltens“, bei dem der Schuldner alles, was er über das Existenzminimum (1.300 Mark netto für Alleinstehende) und eventuelle Unterhaltsverpflichtungen hinus verdient, an den Treuhänder abführen muß. Der Treuhänder zahlt das Geld streng nach Quote an die Gläubiger. Nach sieben Jahren endet die Pflicht zum Schuldendienst, und nach einem weiteren Jahr, in dem Gläubiger Einsprüche geltend machen können, erteilt das Amtsgericht die Restschuldbefreiung.

Was das Gesetz in der Praxis bringen wird, läßt sich schwer sagen. Deutlich wird, daß es nicht mehr darum geht, den Gläubigern um jeden Preis ihr Geld in voller Höhe zu verschaffen, sondern dem Schuldner einen Ausweg in Aussicht zu stellen. Da während der sieben mageren Jahre bei entsprechend niedrigem Einkommen gar nichts bezahlt werden muß, haben die Gläubiger einen guten Grund, einem Schuldenbereinigungsplan frühzeitig zuzustimmen, falls sie nicht leer ausgehen wollen. Für den Schuldner bringt die Restschuldbefreiung nach sieben – mit Vor- und Nachbereitungsphasen sogar erst nach über neun – Jahren die Möglichkeit zum Neuanfang. „Diese konkrete Perspektive kann erhebliche Motivationen bewirken“, meint Elke Madaus, Schuldnerberaterin bei der Julateg, „aber sieben Jahre lang an der Armutsgrenze zu leben, ist für niemand eine einfache Entscheidung.“