Weltfrieden im Winterschlaf

Eskalation mit offenem Ausgang im Kosovo und Irak: Ratlos steht die internationale Diplomatie vor den Folgen der eigenen Fehler und Unzulänglichkeiten  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Die Konflikte im Kosovo und Irak haben in den letzten Monaten wie kaum ein anderes Thema die Energien von internationalen Diplomaten beansprucht. Doch einer Lösung wurden beide Konflikte nicht nähergebracht. In beiden Fällen steht die internationale Gemeinschaft jetzt ratlos da.

Im Kosovo hat die von vielen Beobachtern zunächst erst für das Frühjahr erwartete militärische Eskalation längst begonnen. Wer sich über das – bis heute nicht im Wortlaut oder in konkreten Details veröffentlichte – „Abkommen“ zwischen dem restjugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević und dem US-Chefunterhändler für den Balkan, Richard Holbrooke, von Mitte Oktober keine Illusionen machte, kann darüber nicht überrascht sein. Nach Holbrooke scheiterte auch US-Diplomat Christopher Hill mit seinen Vermittlungsbemühungen. Da beiden Seiten die Diplomatie keine Perspektive geboten hat, setzen sie nun wieder verstärkt auf die militärische Karte.

In dieser Situation ist auch die Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) akut gefährdet, noch ehe sie überhaupt richtig begonnen hat. Die bislang rund 500 stationierten Beobachter haben bei den Gefechten der letzten Tage nicht präventiv gewirkt, ja nicht einmal hilflos zusehen können. Sie waren entweder überhaupt nicht anwesend oder wurden von den serbischen „Sicherheitskräften“ ferngehalten.

Daß die bereits von Ende Dezember auf Ende Januar verschobene Stationierung von 2.000 Beobachtern in vier Wochen erfolgt sein wird, glaubt auch in der Wiener OSZE-Zentrale niemand ernsthaft. Der amtierende OSZE- Vorsitzende, Polens Außenminister Bromislav Geremek, denkt bereits an „eine Überprüfung der OSZE-Aktivitäten im Kosovo, falls das Blutvergießen und die Gewalt weiter eskalieren“.

Auf keinen Fall will sich Geremek darauf verlassen, daß OSZE- Beobachter, die bei der Erfüllung ihres Auftrages an Leib und Leben gefährdet sind, von der im benachbarten Makedonien stationierten Rausholtruppe der Nato gerettet werden. Zum einen ist auch diese Truppe nicht vollständig stationiert und einsatzbereit. Zum zweiten herrscht bei der OSZE ebenso wie im Brüsseler Nato-Hauptquartier große Unklarheit über die Einsatzrichtlinien für diese Truppe.

Sicher ist derzeit lediglich, daß sich die UNO vorläufig nicht im Kosovo-Konflikt engagieren wird. Der Sicherheitsrat und das Büro von Generalsekretär Kofi Annan sind vollauf beschäftigt mit dem politischen Scherbenhaufen, den die jüngsten britisch-amerikanischen Militärschläge gegen Irak hinterlassen haben. Das komplizierte Beziehungsgeflecht zwischen der UNO und dem Irak – bestehend aus der bislang durch die Sonderkommission Unscom geleisteten Abrüstungskontrolle, dem Programm „Öl für Nahrungsmittel“ sowie den Wirtschaftssanktionen – muß neu bestimmt werden. Annan, der durch die Militärschläge ebenso desavouiert wurde wie zuvor durch den Bruch der Zusagen, die ihm Saddam Hussein im Februar und im November gegeben hatte, wird hierzu vorläufig keine neuen Vorschläge unterbreiten. „Jetzt ist erst einmal der Sicherheitsrat am Zug“, heißt es im Büro des Generalsekretärs.

Nach ersten ergebnislosen Beratungen kurz vor Weihnachten will sich das höchste UNO-Gremium ab Anfang Januar wieder mit dem Irak befassen. Die bisherige Forderung der USA und Großbritanniens, Irak solle die Unscom mit unverändertem Mandat und unter ihrem auch in westlichen Hauptstädten stark umstrittenen Chef Richard Butler erneut ins Land lassen, gilt in der New Yorker UNO-Zentrale als völlig unrealistisch. Es wird nicht ausgeschlossen, daß Washington und London eine Weigerung Bagdads, die Unscom wieder ins Land zu lassen, schon bald zum Vorwand für weitere Militärschläge gegen Irak nehmen könnten.

Mit leiser Hoffnung wird zwar bei der UNO registriert, daß in Washington zumindest hinter den Kulissen Stimmen für eine schrittweise Aufhebung oder Lockerung der Wirtschaftssanktionen gegen den Irak plädieren, wenn Bagdad Abrüstungsauflagen der UNO erfüllt. Ob Clinton jedoch dieses Risiko eingeht, falls nach dem 6. Januar ein Impeachment-Verfahren im Senat stattfinden sollte?

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