Nicht die Butter vom Brot nehmen

■ Unbekannte Größen: Wer steckt eigentlich hinter den Lobbyverbänden? Teil 2: Die Handwerkskammern

Frankfurt (taz) – Damit nicht jeder dahergelaufene Handwerksbursche in ihrer Stadt eine Werkstatt oder einen handwerklichen Dienstleistungsbetrieb eröffnen konnte, hatten die Zünfte oder Gilden schon im Mittelalter vorgebeugt. Meister mußte einer sein, um überhaupt sein Gewerbe ausüben und Gesellen beschäftigen und Lehrlinge ausbilden zu dürfen. Einer Zunft anzugehören hieß, frei vom Zugriff adliger Herren geworden zu sein. Zur Berufs- und Standesehre gehörten strenge Gütekontrollen und angemessene Preise – „damit die Handwerker ihr Auskommen sollen haben“.

Die Zünfte verloren mit Einführung der Gewerbefreiheit in den von napoleonischen Truppen besetzten deutschen Ländern ihre Bedeutung und wurden von Schneiderinnung, Schreinerinnung und so weiter abgelöst. Aus diesen Innungen, die auf lokaler Ebene noch von Bedeutung sind, entstanden als regionale Interessenvertretungen aller Handwerksmeister die Handwerkskammern.

Die Aufgaben der Handwerkskammern heute unterscheiden sich nur marginal von denen der mittelalterlichen Zünfte: Interessenvertretung des gesamten Handwerks, Ausbildung und Selbstverwaltung. Nur die Preise werden heute nicht mehr von den Kammern festgelegt, sondern sollen sich idealtypisch am Markt bilden.

Daß immer nur noch Meister nach einer Kammerprüfung einen Handwerksbetrieb eröffnen dürfen, ist in den letzten Jahren von Politikern fast aller Parteien scharf kritisiert worden. Jede(r) kann irgendeinen Laden eröffnen oder ein Gewerbe betreiben. Doch selbst ein etwa mit der Note „sehr gut“ bewerteter Metzgergeselle darf keine Metzgerei eröffnen. Das System, heißt es von seiten der Kammern, habe sich bewährt. Ohne dieses Protektorat, fürchtet etwa die Handwerkskammer Rhein-Main, würden sich vielleicht fünf Bäcker in einer Straße gegenseitig die Butter vom Brot nehmen.

Die Handwerkskammern heute sind demokratisch strukturiert, mit einer Vollversammlung als oberstem Organ. Neben der Führung des Verzeichnisses über die Berufsausbildungsverhältnisse erlassen die Handwerkskammern Prüfungsordnungen, organisieren die Meisterprüfungen und nehmen die Gesellenprüfungen ab. Und in manchen Städten, wie etwa in Mainz, halten sie auch alte Zünftbräuche lebendig. Zum Johannisfest werden in der Stadt Gutenbergs die Druckerlehrlinge zu Gesellen „gegautscht“, das heißt, in hölzerne Zuber mit Wasser getaucht. Dann erst handelt es sich um einen „waschechten“ Drucker. Diesem Schicksal sind auch die meisten Drucker der taz bei Caro in Frankfurt nicht entgangen. Klaus-Peter Klingelschmitt