Die Crème de la crème der Wirtschaft seit 1808

■ Unbekannte Größen: Wer steckt eigentlich hinter den Lobbyverbänden? Teil 3: Die Industrie- und Handelskammern zwischen Vermittlerrolle und Zwangsmitgliedschaft

Frankfurt (taz) – Seit ihrer Gründung 1808 etwa in Frankfurt arbeiten in deutschen Landen Industrie- und Handelskammern. Sie sind Selbstverwaltungsorganisationen der regionalen Wirtschaft unter Ausschluß der Handwerksbetriebe, deren Interessen von Handwerkskammern (taz von gestern) wahrgenommen werden. Eine Dachorganisation der Industrie- und Handelskammern gibt es auch: den Deutschen Industrie- und Handelstag (DIHT). Die Wirtschaftsbetriebe eines Kammerbezirks sind Pflichtmitglieder – Kritiker sprechen von Zwangsmitgliedschaft – in den IHKs. Ihre Hauptaufgaben laut dem dtv-Lexikon: „Wahrnehmung der Gesamtinteressen der Gewerbetreibenden, Förderung der gewerblichen Wirtschaft, Unterstützung und Beratung der Behörden und Mitwirkung an der Berufsausbildung.“

Die Crème de la crème der „Wirtschaftsbosse“ vor allem der großen Handels- und Bankhäuser in Frankfurt hatte 1808 die nach französischem Muster entworfene Charta zur Gründung einer Handelskammer gezeichnet. Der „Wirkungskreis“ der Kammer wurde in einer Charta, die vom Fürstprimas des Rheinischen Bundes von Napoleons Gnaden, Carl Freiherr von Dalberg, genehmigt wurde, fixiert: „Auf alles aufmerksam seyn, was zu dem Flor der hiesigen Handlungen beitragen kann. ... Und Erstattung der Gutachten in Handlungsgegenständen, die von dem souveränen Fürsten von der Handlungskammer wohlmeinend gefordert werden.“

Höchstes Organ sind die Vollversammlungen, die Parlamente der Kammern. 87 Sitze „für Unternehmer- und Führungskräfte“ (IHK) hält etwa die Vollversammlung in Frankfurt bereit. Sie werden alle vier Jahre per Wahl durch die der IHK zugehörigen Repräsentanten aller (Zwangs-)Mitgliedsfirmen neu besetzt. Die Vollversammlung wiederum wählt den Präsidenten und seine neuen Stellvertreter und setzt Arbeitsausschüsse ein. Die IHKs sind auch selbst Arbeitgeber. So beschäftigt die IHK in Frankfurt 200 hauptamtliche MitarbeiterInnen.

Politik haben die IHK mit ihren Präsidenten an der Spitze stets gemacht – und heute besonders gerne. Aktuell ist der IHK-Präsident von Frankfurt, Frank Niethammer, Mitglied im Mediationsverfahren der Landesregierung zum Ausbau des Rhein-Main- Flughafens: in Wahrung der Interessen der Betreibergesellschaft Flughafen AG. „Moderation zwischen verschiedenen gesellschaftichen Positionen und Strömungen mit dem Ziel, den gesellschaftlichen Grundkonsens in wirtschaftlichen Fragen zu fördern“, nennt das die IHK selbst. „Machtpolitik“ nennen das Umweltschützer, die der IHK vorwerfen, ihre Position als Vertreterin der regionalen Wirtschaft zu mißbrauchen.

Den Nutzen solcher Engagements stellen immer mehr Mitgliedsbetriebe der IHK heute in Frage, insbesondere die Inhaber kleinerer Firmen. Für die sind auch von der IHK organisierte Seminare etwa zur Lage der Wirtschaft in Turkmenistan oder Tansania relativ uninteressant. „Was tun die eigentlich mit meinen Beiträgen für mich?“ Eine Frage, die sich in den Kammerbezirken immer mehr Unternehmer stellen – vor allem, wenn die Beitragszahlung ansteht. Klaus-Peter Klingelschmitt