Warum die Computer beim Jahr 2000 versagen

■ Die Unfähigkeit, die Zahlenkombination 2000 zu lesen, ist eine Erblast aus den Kindertagen des Computerzeitalters. Schuld daran ist die einst zu geringe Speicherkapazität der Großrechner

„Kaufen sie vor Silvester 1999 auf jeden Fall Notvorräte für mindestens zwei Wochen!“ Diese Warnung ist kein Witz und richtet sich an jedermann. Der Aufruf stammt von Gwynneth Flower, dem Chef einer Arbeitsgruppe der britischen Regierung, die sich mit dem Jahr-2000-Fehler beschäftigt. Flower erwartet nicht etwa einen plötzlichen Krieg oder eine verheerende Naturkatastrophe. Der Brite rechnet mit einem riesigen Chaos, das der auch als „Millenium-Bug“ bekannte Computerfehler in den ersten Wochen des Jahres 2000 weltweit anrichten wird. Der Jahr-2000-Fehler hat zugeschlagen, wenn in der Silvesternacht 1999 plötzlich riesige Computernetze ausfallen, Telefone schweigen, elektronische Sicherheitssysteme ihren Dienst quittieren und sogar Herzschrittmacher aus dem Takt geraten.

Dabei ist die Ursache banal und schon lange bekannt: Viele Computer und Chips in aller Welt werden den Jahrtausendwechsel nicht verstehen und sich auf eine virtuelle Zeitreise an den Anfang des 20. Jahrhunderts begeben. Und all das nur, weil sie Jahreszahlen intern nur zweistellig abspeichern und „00“ nicht etwa für 2000, sondern für 1900 steht. Zwar können die Computer riesige Mengen von Daten verarbeiten, den Denkfehler erkennen sie aber nicht. So ist ein wenige Monate altes Baby für den Computer des Rentenversicherers plötzlich über hundert. Elektronische Zugangssysteme irren sich in den Wochentagen, halten den Sonntag für einen Dienstag und öffnen Türschlösser.

Das Problem ist eine Erblast aus den Kindertagen der elektronischen Datenverarbeitung. Weil die gefrierschrankgroßen Computer damals nur über sehr wenig Speicherplatz verfügten, schrumpften ihre Programmierer die vierstelligen Jahreszahlen auf nur zwei Stellen. Daß die Standards ihrer Software noch im Jahr 2000 gelten könnten, damit rechneten sie nicht.

Falsch gedacht: Computer-Experten schätzen den volkswirtschaftlichen Schaden, der durch das Jahr-2000-Problem weltweit entstehen wird, auf rund 600 Milliarden Mark. Nach einer OECD- Studie gehört Deutschland zu den Ländern, die sich am schlechtesten auf den Datumswechsel vorbereitet haben. Die Vereingten Staaten, England und Frankreich sind weiter: Durch millionenschwere Förderprogramme versuchen die Regierungen dort schon seit Jahren Soft- und Hardware, Datenbanken und Chips aufzurüsten. Aber auch hierzulande gibt es in vielen größeren Unternehmen zumindest einen Jahr-2000-Beauftragten, der versucht, den Programmen und Datenbanken die dritte und vierte Stelle beizubringen und veralterte Chips auszutauschen. Aber auch viele private Computer könnten plötzlich ins Trudeln kommen: Selbst die Standard-Programme von Microsoft sind zum Teil nicht 2000-fest. Nach Aussagen eines namhaften Herstellers werden heute noch 15 Prozent aller PC mit nicht-2000-festen Komponenten ausgeliefert.

Das Problem ist allerdings noch wesentlich vielschichtiger, als es auf den ersten Blick scheinen mag: Die Hauptgefahr liegt in der Vernetzung von Informationssystemen, die sich durch alle unsere Lebensbereiche zieht und den modernen Wirtschaftskreislauf regelt. Netzwerke sind mittlerweile die Adern ganzer Unternehmenslandschaften und Branchen. Fällt an einer Stelle ein einzelner Computer aus, droht dem ganzen System der Infarkt. So ist selbst der Produktionsablauf von Firmen, die rechtzeitig vorgesorgt haben, von dem Millenium-Bug betroffen, wenn bei einem Zulieferer der Computer streikt. Die „Just in time“-Produktionsweise könnte zum Fallstrick werden, weil benötigte Teile plötzlich nicht geliefert werden können und ein Lager fehlt.

Es wäre allerdings falsch zu denken, daß das Jahr-2000-Problem nur in der Silvesternacht 1999 akut ist. Computer die in die Zukunft rechnen, leiden schon heute an dem Bug. Auch noch Wochen und Monate nach der besagten Silvesternacht wird der Fehler viele Chips zum Aufgeben zwingen. Das Jahr-2000-Problem wird zwar in der besagten Silvesternacht seinen Höhepunkt erreichen, die Auswirkungen werden aber nach der OECD-Studie mindestens bis ins Jahr 2005 zu spüren sein. Jens Uehlecke, Berlin