Innen Feuer, außen cool

■ Mehr als nur Kimonofolklore: Die Neue Sammlung München zeigt mit der Berufskleidung japanischer Feuerwehrmänner und Kaufleute ein Beispiel angewandter japanischer Kunst

Happi (für Kaufleute) und Hanten (für die Feuerwehr) nennt man die zur Arbeit getragenen japanischen Männer-Kimonos, die ein wenig an überdimensionierte XXL-T-Shirts erinnern, so wie sie sich da flächig an die Wände geheftet den staunenden Blicken der Besucher darbieten – dankenswerterweise komplett unverglast, so daß man alle Details aus nächster Nähe studieren kann.

„Männer-Kleidung – Japan“ ist die dazugehörige Ausstellung betitelt. Nachdem sich das Interesse an japanischer Kleidung bisher völlig auf Frauenkleidung konzentriert und dabei meist das pikante Klischee der Geisha umkreist hat, betritt die Neue Sammlung mit dieser hundertfünfzig Exponate umfassenden Schau völliges Neuland. Man kann, so Florian Hufnagel, Leiter der Sammlung, von einer Weltpremiere sprechen.

Die Perfektion der abstrakten Ornamentik wie auch der virtuos stilisierte Expressionismus der auf den Stoffen dargestellten Szenerien stellen einen Höhepunkt angewandter Kunst in Japan dar. Die Kleider sind eine Leihgabe des japanischen Unternehmers und privaten Sammlers Sumi Ichiro aus Kioto, der mit seiner Firma mit programmatischem Namen „Gold“ in der Unterhaltungsindustrie beträchtlichen Wohlstand erworben hat. Die Ausstellung ist das Ergebnis einer mehr als zehn Jahre währenden Sammelleidenschaft Ichiros, dessen pfleglicher Umgang mit seinen Exponaten auch den Charakter der Ausstellung vorgibt. Um die lichtempfindlichen Textilien zu schonen, werden Ende Januar und Anfang März die Exponate ausgetauscht, so daß die Mäntel nicht alle auf einmal, sondern lediglich in drei Etappen zu sehen gewesen sein werden.

Die Ausstellung will über jegliche Kimonofolklore hinaus, und tatsächlich übertrifft sie alles, was in Folge verschiedener Wellen des Japonismus in den Westen geschwappt ist. Die kunstvollen Mäntel reihen sich nahtlos ein in das, was von japanischer Kunst und Graphik in anderen Zusammenhängen und anderen Disziplinen bekannt und anerkannt ist. Die gezeigten Exponate haben, wie Florian Hufnagel in seiner Einführung unterstrich, eine bedeutende Rolle bei der Entstehung der modernen Kunst in Japan gespielt.

Was beim Studium der ausgestellten Kleider fasziniert, ist die Beobachtung, daß wie bei den eingangs erwähnten T-Shirts auch bei Happi und Hanten die Bildbotschaft das Trägermaterial dominiert, indem sie einen vergleichsweise neutralen, unspezifischen Korpus (Kimono) als Projektionsfläche nutzt. Zwar unterscheiden sich Happi und Hanten im Gebrauch. Die Feuerwehrmäntel wurden nämlich vor dem Einsatz mit Wasser begossen. Doch im Schnitt sind sie nahezu identisch. Das offenbart ein interessantes Modul-System (gleiches Trägermaterial, wechselnde Botschaften). Im Westen dagegen hatte auch schon früher der Schnitt eine dem Stoff und der Dekoration ebenbürtige Aussage und Aufgabe.

Besonders beim Anblick der teppichartig kompakten Feuerwehrmäntel, die aus drei zusammengesteppten Lagen eines dicken Baumwollstoffes (manchmal auch Leder) gefertigt sind, fällt es schwer zu glauben, daß sie an lebendigen, bewegten Körpern getragen wurden. Der Gedanke von Funktion und Paßform in westlichem Verständnis, auch seine perversen Auswüchse von Korsett und Bondage, fehlt. (Der mit seine Bondagearbeiten berühmt gewordene Fotograf Araki arbeitet ja bereits unübersehbar westlich geprägt.)

Statt dessen bleibt der hier in der Kleidung wohnende Körper eine seltsam abstrakte Größe, der sich in einem schematisch zur Verfügung gestellten Raum einrichten mußte. Ordnung, so lernen wir, war im alten Japan nicht das halbe Leben, sondern das ganze.

In diesem Sinne dienten auch die einfachen, kraftvollen Symbole und kalligraphischen Zeichen auf den Kaufmannskitteln der schnellen Orientierung. Diese wurden nämlich von den Angestellten japanischer Handelsfirmen als Arbeitsuniform getragen und erlaubten, ähnlich wie ein modernes Firmen-Logo, eine unmittelbare Identifikation und Zuordnung des Trägers zu einem bestimmten Unternehmen – eine Frühform modernen Corporate-identity-Denkens sozusagen.

Auch bei den Feuerwehrmänteln, die zum „Einsatz“ getragen wurden, markierten Schriftzeichen die Zugehörigkeit des Trägers zu einer bestimmten Feuerbrigade. Bei den prunkvollen zeremoniellen Hanten, die von den Brigadeführern bei eventuellen Kondolenzbesuchen betroffener Familien getragen wurden, bestimmten dagegen allgemeine malerische, mythisch-allegorische Motive die Bildgestaltung.

Eine genauere Datierung dieser Rezeptionsgeschichte oder Details zu deren Überlieferungswegen hat die Ausstellungsleitung nicht weiter beschäftigt. Nur soviel sei bekannt, hieß es, daß die Mäntel von jenen fashionablen Tokio-Dekadents in ihren Zirkeln verkehrt herum, die aufwendigen Ornamente nach innen gekehrt, getragen wurden. Man hat sie also, läßt sich anfügen, zur Ausgrenzung von Unwissenden und Wissenden codiert. Das war das Coole: zu wissen, es ist Mode! Nike Breyer

Noch bis zum 5. April