■ Mit seiner Ausländer-Kampagne sitzt Schäuble in einer Zwickmühle
: Hoffen auf Schröder

Wolfgang Schäuble will das Volk zu seiner Meinung über die doppelte Staatsbürgerschaft befragen. Die Antwort wird auch Aufschluß über sein weiteres Schicksal als Oppositionsführer geben. Und so wie die Dinge liegen, hat er es mit der geplanten Unterschriftenaktion unter keinen guten Stern gestellt.

Zwei Monate nachdem er zum Parteivorsitzenden gewählt wurde, hat Schäuble eine Kampagne gestartet, die den Geist jener Geschlossenheitsideologie atmet, von der Kurt Biedenkopf die Union gerade befreien will. Während der sächsische Ministerpräsident die Unfähigkeit seiner Partei beklagt, wirklich Neues hervorzubringen, und die Entwicklung zu einer Volkspartei in einer offenen Gesellschaft fordert, läutet Angela Merkel einen Lagerkampf ganz im Stile der zurückliegenden Jahrzehnte ein.

Die Union steckt in der tiefsten Krise ihres Bestehens. Auf die gesellschaftlichen Umbrüche weiß sie zur Zeit keine Antworten, die nicht auch von den Sozialdemokraten formuliert werden. Das ist um so fataler für sie, als sie vor allem im Milieu der Arbeiter und Angestellten verloren hat. Statt sich denen wieder programmatisch zu nähern, wie Heiner Geißler es fordert, statt ihren Arbeitnehmerflügel zu stärken und sich sozialpolitisch zu modernisieren, versucht die Union nun, diese Milieus populistisch zurückzugewinnen. Fremdenhaß soll ihr die Stimmen wieder zutreiben, die sie bei den Wahlen einbüßte. Die Union hat die gesellschaftliche Mitte an die SPD verloren, nun antwortet sie darauf mit einer Spaltung der Gesellschaft. Zum Auftakt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft bläst sie zur innerstaatlichen Fremdenabwehr. Wie sagt doch Heiner Geißler: Wenn die Fahne weht, ist der Verstand in der Trompete.

Denn diese Gesellschaft ist europäischer und liberaler geworden, und sie hat andere Probleme, als ihr Schäuble jetzt weismachen will. Bei einer der größten Unterschriftenaktionen der deutschen Geschichte haben sich bereits über eine Million Menschen für die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft ausgesprochen. SPD und Grüne sind für dieses politische Versprechen gewählt worden. Auch innerhalb der Unions-Fraktion hatten sich bereits vor drei Jahren zahlreiche Abgeordnete für eine Änderung der bestehenden Regelungen ausgesprochen – mit halblauter Unterstützung Wolfgang Schäubles. Damals knickte er ein, weil er dem Druck der CSU nicht standhielt, die sich gegen jede Veränderung sperrte.

Auch jetzt vermag Schäuble Stoiber nicht zu widerstehen, dem Spiritus rector der Kampagne gegen die Liberalisierung des Staatsbürgerrechts. Gewiß hat Schäuble eine differenziertere Position als sein bayerisches Pendant. Doch sind Differenzierungen hinderlich, wenn die Lufthoheit über den Stammtischen angepeilt wird. Die von dem CDU-Vorsitzenden eingeläutete Kampagne birgt den Keim der Radikalisierung in sich. Dafür ließen sich viele in der Union nur mobilisieren, wenn sie sich selbst verleugnen. Und was passiert, wenn es zu wenige werden, um das Volk nennenswert zu mobilisieren? Dann wird Schäuble seine Differenzierung als Führungsschwäche ausgelegt werden. Und in München wird einer sitzen, der weiß, wie man mit Radikalität Stärke zeigt. Stoiber wird sich damit der gesamten Union empfehlen.

Volker Rühe, noch vor zwei Monaten als zweiter Mann hinter Schäuble gefeiert, hat sich rechtzeitig in der Bundespolitik rar gemacht. Er sucht, seine Option auf eine künftige Führungsrolle zu wahren, indem er in Schleswig-Holstein um das Ministerpräsidentenamt kämpft.

Solchermaßen von Landesfürsten in die Zange genommen, kann es für Schäuble dann schwer werden, seine Position zu halten. In der von ihm angekündigten Kampagne kann es von daher für ihn nur eine Art von Erfolg geben. Wenn der Bundeskanzler in der Frage der doppelten Staatsbürgerschaft einlenkt. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung, wie immer von sanfter Einfühlsamkeit, wenn es um die Nöte ihres Schutzbefohlenen geht, titelt denn auch hintersinnig treffend: „Die Union hofft auf Schröder“. Die tageszeitung jedoch empfiehlt in diesem Fall: Gerhard, bleib hart! Dieter Rulff