Sanierungskurs für japanische Wirtschaft bedroht

■ Starker Yen, trübe Prognosen und hohe Zinsen am Rentenmarkt schicken die Börse ins Tief

Tokio (taz) – Mit einem solch trüben Jahresbeginn hat der japanische Premier Obuchi auf seiner Pilgerreise zum Heiligen Schrein von Ise wohl nicht gerechnet. Während er mit seinem Kabinett eine Konjunkturbesserung herbeiflehte, setzte der Tokioter Aktienmarkt zu einer jähen Talfahrt an. Der Nikkei-Index verlor in den ersten zwei Handelstagen über 5 Prozent und steht wieder hart an der 13.000-Marke. Grund für die Talfahrt sind der gestiegene Yen und die Unsicherheit auf dem Rentenmarkt. Diese zwei schwerverdauliche Faktoren für die rezessionsgeplagte Wirtschaft Japans bedrohen das gigantische Stimulierungsprogramm der Regierung für die angeschlagene Wirtschaft.

Vor allem der Rentenmarkt ist ins Trudeln geraten. Innerhalb von drei Monaten haben sich die Zinsen für Rentenpapiere mit zehnjähriger Laufzeit verdreifacht und standen am Dienstag auf 1,91 Prozent. Notenbankchef Masaru Hayami verkündete noch vor wenigen Tagen optimistisch, dies sei ein Zeichen für wirtschaftliche Erholung. Doch es ist wohl eher umgekehrt. Die Arbeitslosenrate steht auf einem Rekord von 4,4 Prozent, Löhne und Konsum fallen, und die Unternehmen drosseln ihre Kapitalinvestitionen, rechnen erst im Jahre 2000 mit einer Besserung und widersprechen der Regierung, die schon im kommenden Fiskaljahr ein Wachstum von 0,5 Prozent für möglich hält.

Die Renten sind eingebrochen, weil der Markt ein Riesenangebot erwartet. Denn der Staatshaushalt sieht mehr Defizitausgaben und Steuererleichterungen vor. Das dafür benötigte Geld soll in die ohnehin leere Staatskasse kommen, indem die Neuemissionen der Rentenanleihen Japanese Government Bonds (JGB) um 23 Prozent gesteigert werden. Das soll 71,5 Billionen Yen (umgerechnet etwa 1 Billion Mark) einbringen.

„Der Markt wurde geblendet von der massiven und plötzlichen Steigerung des Angebotes“, sagt Cameron Umetsu, Ökonom von Warburg Dillon Read in Tokio. Zwar war es bekannt, daß die Regierung die Konjunkturpakete in der Gesamthöhe von 40 Billionen Yen mit Renten-Neuemissionen finanzieren will. Unbekannt war bis vor kurzem aber, daß der traditionelle Haupteinkäufer der Rentenpapiere – das Finanzministerium (Mof) – das Überangebot nicht mehr abnehmen will.

Bisher kaufte das Mof monatlich JGBs im Wert von 200 Milliarden Yen. Seit der Verschlimmerung der Rezession wird das Geld indes anderswo gebraucht. Das Mof vergibt Geld an öffentliche Kreditkassen, um Firmen zu stützen, die wegen zu hoher Verschuldung auf dem Kapitalmarkt keine Anleihen mehr erhalten.

Außerdem steigen die Ängste, daß die öffentliche Verschuldung in eine Krise schlittert. Schon jetzt beträgt die lokale und nationale Verschuldung 9,8 Prozent eines jährlichen Bruttoinlandproduktes. „Das ist eine schlechtere Budgetposition als Brasilien“, sagt Masuhisa Kobayashi, Ökonom von Merril Lynch in Tokio. Strategen in Tokio erwarten deshalb keine Entspannung auf dem Rentenmarkt und gehen davon aus, daß die JGB-Zinsen bis April auf rund 2,7 Prozent steigen.

Das ist im Vergleich zu anderen Industriestaaten zwar wenig, aber für viele Sektoren in der japanischen Wirtschaft Gift. Wiederum betroffen ist der Finanzsektor, der im ersten Halbjahr rund 28 Prozent der Betriebsgewinne aus dem Handel von Rentenpapieren schöpfte. Diese unrealisierten Gewinne werden nun mit dem Zinsanstieg ausgelöscht und verschlimmern die Situation der Banken. Negativ wirkt sich der Zinsanstieg auch auf die hochverschuldeten Unternehmen im Bau- und Immobiliensektor und im Einzelhandel aus.

Mit dem Zinsanstieg geht nun auch eine Hausse der japanischen Währung einher, die der Exportindustrie schadet. Am Dienstag stieg der Yen gegenüber dem Dollar zeitweise auf ein neues Rekordhoch von 110,7 Yen. Die großen Auto- und Elektronikkonzerne rechneten aber für das laufende Geschäftsjahr mit einem Durchschnittskurs von 125 Yen. André Kunz