Die durch die Service-Hölle gehen

Der Stadtzeitschriften-Markt: Wenn die Szene Hamburg eingeht, ist die Nivellierung zum Mainstream perfekt. Eine traurige Bestandsaufnahme  ■ Von
Michael Hess

Einfach unverzichtbar“, „unentbehrlich“ und „publizistisch wertvoll“ – zum 25jährigen Jubiläum setzte es für Hamburgs ältestes Stadtmagazin gleich dutzendweise Hurras. Vom ersten Bürger- bis zum deutschen Yo-Yo-Meister waren sich in der Dezember-Ausgabe alle einig: Gut, daß es die Szene Hamburg gibt. Doch hielt sich die gute Laune in den Verlagsräumen am Schulterblatt in Grenzen. Am 28. Dezember wußte man, warum. Wie berichtet, drohte Herausgeber und Gründer Klaus Heidorn via Branchendienst Kress Report mit dem baldigen Gang zum Konkursrichter, falls die anhaltenden Verkaufsverhandlungen mit dem Verlagsriesen Gruner + Jahr scheitern sollten. Potentiellen Last-Minute-Interessenten an seinem Lebenswerk bot Heidorn sogar seine private Durchwahl an.

Ein Grund für die plötzliche Panik des Verlegers: Die Sozialversicherungen ermittelten wegen Scheinselbständigkeit der Szene-Mitarbeiter und fordern nun Nachzahlungen in Höhe von 250.000 Mark und zudem die baldige Einrichtung von zehn festen Arbeitsplätzen. Eine Forderung, die, so befürchten Insider, das ohnehin klapprige Finanzgerüst des Hauses gänzlich einstürzen lassen wird.

Dennoch weiß Thomas Albrecht jegliche Konkursgerüchte zu dementieren: „Die Forderungen sind zu verkraften“, betont der Verlagsleiter und gibt sich optimistisch: „Die Szene Hamburg ist nach Zitty und Tip Berlin die umsatzstärkste Stadtzeitschrift Deutschlands. Wir verfügen über einen etablierten Titel und einen wunderbaren Markennamen. In spätestens drei Monaten wird sich ein Käufer gefunden haben.“ Die Aktion des Herausgebers betrachtet Albrecht gelassen: „Wie viele mittelständische Unternehmen haben auch wir ein Nachfolgerproblem.“ Eher galgenhumorig gibt sich die Redaktion. Dort kann man über die „wahnwitzige Aktion“ nur noch gequält lachen, auch wenn man gelernt hat, mit den Sperenzchen des Herausgebers und der steten Angst um den eigenen Arbeitsplatz zu leben. Wie soll man denn gekündigt werden, wenn man nicht fest angestellt ist?

Ob es nach einem Verkauf der Szene auch zu einer Ausdünnung der Redaktion kommen wird, läßt Albrecht offen: „Wir werden überall sparen müssen, auch im redaktionellen Bereich.“ Der Marketing-Mann denkt dabei auch an die Nutzung von Schreiberpools im Internet. „Wir leben nicht mehr in den Achtzigern, müssen flexibel auf die Anforderungen reagieren.“

Das taten vor ihm schon andere. Denn bei näherer Betrachtung ist das anhaltende Gerangel um ein Traditionsblatt wie die Szene Hamburg beispielhaft für einen Prozeß, den die meisten Stadtzeitschriften bundesweit bereits hinter sich haben: die Nivellierung auf Mainstreamniveau in der verzweifelten Hoffnung, so den verlorenen Boden bei der Leserschaft wieder gutzumachen. Tatsächlich klagen fast alle über einen Rückgang ihrer Auflage. Dennoch sind es immer die Großverlage wie Gruner + Jahr (Tip) oder der Holtzbrink-Konzern (Zitty), die aus Prestigegründen an den ökonomisch relativ unbedeutenden Objekten Interesse zeigen, somit aber gleichzeitig auch den Anpassungsdruck auf finanzschwache Verlage erhöhen. Für die seit Jahren an der Szene interessierten Gruner + Jahr (Jahresüberschuß 1998: 781 Millionen Mark) käme die geplante Übernahme einem Griff in die Portokasse gleich.

Die drei vermeintlichen Zauberworte für Stadtzeitschriften lauten daher immer mehr: Service, Service, Service. Die schier unabdingbare Folge: Gerade das, was diese Blätter seit den Siebzigern auszeichnete – das Aufzeigen der Lustvielfalt einer Großstadt und eine kritische Auseinandersetzung mit ihren gesellschaftlichen und kulturellen Phänomenen – gerät immer mehr in den Hintergrund. Gerade für Hamburg zeichnet sich da ein düsteres Bild für die Zukunft ab, zumal von den anderen Stadtzeitschriften keine Wandlung vom Service-Saulus zu einem Info-Paulus zu erwarten ist.

In der Prinz-Zentrale am Poßmoorweg zeigt man sich diesbezüglich auch eher pessimistisch. Besonders nach dem Abgang von Alf Burchardt, dem bisherigen Vize. Rainer Thide, seit November amtierender Chefredakteur, leitete vorher das Fachblatt Mountain Bike und habe, so heißt es, keinen besonderen Draht zur derzeitigen Redaktion. Festverträge werden nicht mehr abgeschlossen, Zeitverträge laufen am 31. März aus. Genau dann nämlich soll am Heft noch mal kräftig herumgefeilt werden. Welche Änderungen bevorstehen, bleibt vorerst Thides Geheimnis. Intern wird eine weitere Begradigung der redaktionellen Inhalte in Richtung Service befürchtet, wenngleich das unmöglich erscheint. Schon jetzt gleicht das Blatt mit seinen endlosen Listen, Spalten und Vergleichen einer Mischung aus Bravo, Stiftung Warentest und dem Guinness-Buch der Rekorde. Die Januar-Ausgabe lockt mit dem Versprechen: „Test: die besten Best-Of-Alben“.

Image-Probleme dieser Art kennt Oxmox glücklicherweise nicht. Hier vertraut man seit Jahren dem Prinzip der Bild-Zeitung: Keiner liest sie, aber gekauft wird sie allemal. Das sichert dem Herausgeber und Torfrock-Manager Klaus M. Schulz nach eigenen Angaben eine Auflage von stolzen 50.000 Exemplaren. Eine Verkaufszahl, die etwa doppelt so hoch ist wie die der Konkurrenz und nicht nur branchenintern erheblich angezweifelt wird. Doch was sind schon Fakten? Gerade letztes Jahr kürte man die Rote Flora zur „größten Kloake Hamburgs“ und präsentierte den Lesern eine Räuberpistole, die selbst den Kollegen des oben erwähnten Boulevardblattes die Schamesröte ins Gesicht trieb. Ein kunterbuntes Prittstift-Layout und eine sorglose Schreibe tun ihr übriges, um bei Oxmox das Volksempfinden und die Hormone in Wallung zu halten. Grundsatz: Es kann doch nicht sexistisch sein, was gefällt. Ähnlich hirn-, dafür aber immerhin kostenlos präsentieren sich die meisten der auch weiterhin die Fensterbänke der Cafés überschwemmenden Werbeblättchen wie Hamburg Pur, Kultur News, Flyer oder Piste. Einhelliger Tenor dieser immerhin professionell gestylten Magazine: „Gewinnegewinnegewinne!“ und „Alles supi in Hamburg!“

Daß es dennoch auch für Umsonstblätter relevante und kritisch zu begleitende Stadtthemen gibt, beweist HH 19. Zwar hinkt hier die journalistische Wirklichkeit nur allzugerne dem kollektiven Willen zur Aufklärung hinterher, doch scheint man sich vom dubiosen Aktionismus (fiktive Wohnungsverlosungen) verabschiedet zu haben. Mit etwas Glück und Geduld könnte sich hier über die Jahre ein informatives, linkes Monatsmagazin etablieren.

Anders erging es da der Hamburger Rundschau, die jetzt endlich als Wochenzeitung ernst genommen werden möchte. Erst im letzten Frühjahr ergab man sich der pragmatischen Willkür zur Veränderung. Nach der Neugründung einer Verlagsgesellschaft (Himmelblau) erlebte die Redaktion ihr blaues Wunder, als mit Uwe Driest plötzlich ein „Taxifahrer“ (Redaktionsmund) das Blatt lenkte. Dennoch scheint das stets etwas tranige, dafür aber immer bemüht wirkende Stammblatt der Hamburger Sozialpädagogik den damit verbundenen Relaunch glücklich überlebt zu haben. Optisch zu einer kleinen Schwester der Woche mutiert, gibt man sich inhaltlich weiterhin kampfeswütig. Bis auf die letzte Seite: Dort, wo einst der „Hubschrauber“ seine satirischen Kreise zog, hat jetzt mit einem ganzseitigen Kreuzworträtsel die Realsatire Einzug gehalten: zur Freude aller Taxifahrer.