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Sayonara Ottensen!

Kulturtransfer zwischen Tokio und Hamburg: Die Ausstellung „Japan, Idylle und Chaos“ zeigt die Ähnlichkeit zweier Stadtteile an verschiedenen Enden der Welt  ■ Von Britta Peters

Das Land als kalte Industrienation, hierzulande sowieso nur durch Grüppchen mit dem Fotoapparat um sich schießender Männer repräsentiert, gnadenloser Leistungsdruck, unüberwindbare Hierarchien und die Hauptstadt Tokio als unmenschlicher Höhepunkt dieser futuristischen Welt. Am Anfang waren es die üblichen Klischees, die die freischaffende Künstlerin und Fotografin Stefanie Ritter mit Japan in Verbindung brachte. Als sie 1994 jedoch im Rahmen einer Städtepartnerschaft Tokio zum ersten Mal besucht, muß sie erstaunt feststellen, daß die Metropole auch ganz andere Seiten hat.

In Mukojima, einem in der Unterstadt am Sumida-Fluß gelegenen Ortsteil, findet sie eine Atmosphäre vor, die dem heimischen Ottensen gar nicht so unähnlich ist. Wie in der Gegend um den Altonaer Bahnhof ist das Straßenbild geprägt durch enge Bebauung, schmale Straßen und zahlreiche mit kleinen Werkstätten ausgestattete Hinterhöfe. Die Bevölkerung macht, wie manchmal bestimmt auch in Ottensen, einen gastfreundlicheren und offeneren Eindruck als im geschäftigen Tokioer Zentrum.

In einem Punkt unterscheidet sich das Hinterhofleben in beiden Stadtteilen jedoch ganz wesentlich. Im Gegensatz zu der Wohn- und Projektkultur in Altona wird in Mukojima tatsächlich noch Ware produziert. Auf minimalem Raum, teilweise nur sechs bis acht Quadratmetern, werden dort Dichtungsringe gestanzt, Näharbeiten angefertigt oder ähnlich monotone Tätigkeiten ausgeübt. Die kleinen Werkstätten, die größtenteils auch Wohnraum für ganze Familien sind, quellen über. Sie sind so vollgestopft mit Kram, daß irgendwann sogar der japanische Geschenkekult zum Problem wird. Wohin damit, wenn selbst die Decke schon vollhängt?

Mit der Ausstellung Japan, Idylle und Chaos möchte Stefanie Ritter ihren Eindruck von Mukojima vermitteln. Auch wenn sie, wie sie selbst sagt, „kein Mercado-Fan“ ist, hat sie die öffentliche Bücherhalle dort als Ausstellungsort gewählt, weil sie einem breiten Publikum zugänglich ist und mitten in Ottensen liegt.

Den Schwerpunkt der Ausstellung bilden die Werkstättenfotos. Aufnahmen von Banken und Palästen in der Tokioer Innenstadt kontrastieren und vervollständigen das Bild. Ritters persönliche Entdeckung von Mukojima als etwas, das sich hinter den Fassaden der Großstadt verbirgt, wird hier ein zweites Mal vollzogen.

Dem Blick aus dem Westen auf den Osten sind Aufnahmen des japanischen Kameramanns und Fotografen Kazunobu Shiratori von Ottensen gegenübergestellt. Und nächstes Jahr wird Stefanie Ritter mit einer Ausstellung über Ottensen und das Hafenrandgebiet in Osaka vertreten sein. Diese Art des kulturellen Austauschs und der Zusammenarbeit ist fester Bestandteil der Arbeit des East-West Visions e.V., jener vor acht Jahren von Brigitte Krause begonnenen Initiative, die auch Stefanie Ritter damals zu ihrer ersten Reise ins Land der aufgehenden Sonne verhalf.

Neben den gegenseitigen Besuchen, dem Austausch über Stadtentwicklung und den gemeinsamen Arbeiten im Bereich Film und Fotografie – der Verein ist auch für die Manga-Ausstellung verantwortlich, die vor einiger Zeit im Stadtteilarchiv Ottensen stattgefunden hat – ist jetzt als wohl ehrgeizigstes Projekt ein Mukojima-Haus in Altona und ein Ottensen-Haus in Mukojima geplant. Ein schöner Ort für zukünftige Aktivitäten, auf die man gespannt sein darf.

Eröffnung mit Klaviermusik von Sibylle Förster: Sonntag, 12 Uhr, Bücherhalle im Mercado, bis 24. Januar

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