Kooperation spart Kosten

Im „Praxisnetz Berliner Ärzte“ haben sich 540 Ärzte zusammengeschlossen. Nur die Patienten sind noch nicht richtig von den Vorteilen des Modellprojektes überzeugt  ■ Von Ole Schulz

Es gehe um mehr als nur um Geld: „Wir wollen die Empfindlichkeiten zwischen Haus- und Fachärzten abbauen und ein Klima der Kooperation schaffen“, erläutert Christine Dreykluft die Philosophie des „Praxisnetzes Berliner Ärzte“. Gleichwohl erhofft sich Dreykluft, die den ärztlichen Bereitschaftdienst des Modellprojekts organisiert, auch finanziell einen Gewinn: „Durch die Transparenz der Daten und die Vermeidung von Doppeluntersuchungen sollen die Kosten gesenkt werden.“ Ein Teil dieser Einsparungen soll schließlich an die Patienten ausgeschüttet werden.

Auf Initiative der Betriebskrankenkassen (BKKs) haben sich seit Anfang vergangenen Jahres niedergelassene Ärzte in dem Verbund zusammengefunden, dem inzwischen rund 540 Ärzte angehören – fast zehn Prozent aller in Berlin praktizierenden Ärzte. Zu den besonderen Serviceleistungen gehören längere Sprechzeiten: Täglich haben einige Netz-Praxen bis 22.00 Uhr geöffnet. Bis zum Frühjahr sollen regionale Präsenzdienste flächendeckend ihre Arbeit aufgenommen haben.

Mitglied in dem Netz kann allerdings nur werden, wer in einer der 20 BKKs, die in Berlin ansässig sind (300.000 Mitglieder), oder der Techniker Krankenkasse (250.000 Mitglieder) versichert ist. Und da fangen die Probleme an: Denn die Patienten kommen noch nicht in Scharen. Sie müssen sich nämlich schriftlich verpflichten, im Krankheitsfalle einen Netzarzt zu konsultieren – so sind bisher nur etwa 11.000 Versicherte dem Berliner Ärztenetz beigetreten.

Zugleich fürchten niedergelassene Kollegen die neue Konkurrenz, und der Tonfall unter den Ärzten wird rauher. Nun bahnt sich bei der Berliner Ärztekammer ein Wechsel an, der den Stimmungswandel innerhalb der verunsicherten Ärzteschaft widerspiegelt. Es gilt als sicher, daß Günther Jonitz, vom die Klinikärzte vertretenden „Marburger Bund“, den seit zwölf Jahren amtierenden Querdenker Ellis Huber bei der Kammer-Wahl am 27. Januar als Präsident beerben wird – denn die konservative „Allianz Berliner Ärzte“ unterstützt die Abwahl Hubers, dem man vorwirft, daß er die Standesinteressen vernachlässige.

In die Kritik geraten sind zuletzt aber auch die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVs), die Selbstverwaltungsorgane der Ärzteschaft. Mitte Dezember lehnte die Generalversammlung der Berliner KV den Antrag auf ein zweites Ärztenetz ab. Rund 100 Kassenärzte aller Fachgebiete wollten sich ab Januar 1999 unter dem Namen „Medinet 2000“ zusammenschließen – doch die KV unterband das Vorhaben. Die KV sei schon Partner des bereits existierenden Praxisnetzes Berliner Ärzte und wolle daher keine zusätzliche Konkurrenz, glaubt etwa der Kardiologe Joachim Wunderlich, der das „Medinet 2000“ mitaufgebaut hat.

Nach der „Gesundheitsreform“ ringen nicht nur die einzelnen ärztlichen Fachgruppen um ihre Besitzstände, sondern ist auch zwischen niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern ein Verteilungskampf ausgebrochen. Mit der Budgetierung von 1993, die die – bisher unbegrenzte – Kostenübernahme durch die Krankenkassen einschränkte („gedeckeltes Budget“), war es auch mit der langjährigen friedlichen Koexistenz vorbei. Seitdem wird darüber gestritten, wie man, um Ausgaben zu senken, ambulante und stationäre Versorgung besser miteinander verknüpfen könne – so strikt getrennt wie in Deutschland ist die medizinische Versorgung nirgendwo in der westlichen Welt.

Kosten Sparen durch Kooperation: Nicht nur in Berlin, sondern überall in Deutschland schließen sich niedergelassene Ärzte in Gemeinschaftspraxen oder zu Netzwerken zusammen – bundesweit gibt es bereits 200 solcher Praxisnetze. Während die Investitionskosten für Ärztehäuser hoch sind, werden Ärztenetze häufig von den Krankenkassen im Rahmen zeitlich begrenzter Modellprojekte gefördert. Im Berliner Netz haben sich die teilnehmenden Ärzte zudem verpflichtet, „Qualitätssicherung“ zu betreiben. Sie sind in elf fachübergreifenden Gruppen zusammengeschlossen und erstellen nun unter der Leitung der „Teamsprecher“, die eigens als Moderatoren geschult wurden, Leitlinien für die Behandlung einzelner Krankheiten. „Wie engagiert eine Gruppe ist, steht und fällt mit dem Einsatz des Teamsprechers“, weiß Christine Dreykluft zu berichten.

Aber vor allem die Abrechnung der Patientenbehandlung im Berliner Netz gilt als innovativ: Denn während normalerweise die einzelnen Bereiche des Gesundheitswesens – vom Haus- und Facharzt, über das Regionalkrankenhaus und die Fachklinik bis zum Pflegedienst – nach getrennten Töpfen abrechnen („sektorale Budgets“), ist im Berliner Netz ein „gemischtes Budget“ eingeführt worden. Wie beim allseits gepriesenen „Fallmanagement“ gerät damit der gesamte Behandlungsverlauf eines Patienten in den Blick. Jeder Netz- Patient bekommt ein – nach Alter und Geschlecht gewichtetes – Prokopfbudget zugewiesen, das die strikte Trennung der Abrechnung von ambulanter Versorgung, Krankenhausaufenthalt und Arzneimitteln aushebeln soll. Nur so mache es für einen Arzt Sinn, eine teure Krankenhauseinweisung zu vermeiden, wenn der Patient auch weiter ambulant behandelt werden könne, erklärt Burkhard Spahn, zuständiger Projektleiter von der BKK, das „Modell der Zukunft“.

Doch solange alle anderen niedergelassenen Ärzte ihre einzelnen Leistungen nach einem komplizierten Punktesystem abrechnen müssen, wird ein Vorschlag des Berliner Ärztekammerpräsidenten Ellis Huber aktuell bleiben, auch wenn dessen eigener Abgang besiegelt ist: Huber fordert seit langem, das bisherige Honorarsystem radikal zu ändern. Vor allem dürfe nicht mehr allein der Einsatz teurer Apparatemedizin hoch vergütet, sondern ausschließlich die Zeit, die ein Arzt mit dem Patienten verbringt, honoriert werden.

Info-Telefon des „Praxisnetzes Berliner Ärzte“: 38 39 07 50