Ein Künstler des Sozialen

■ Der Ex-Holzjournalist Christian Specht feiert heute dreißigsten Geburtstag. Eine Würdigung

Eigentlich hat er den Holzjournalismus längst dialektisch überwunden, aber in dieser Phase lernte ich ihn kennen: Da kam so ein Irrer in die U-Bahn und interviewte alle Fahrgäste, mit Mikro und Tonband – aus Holz. Später sah ich ihn auf Demos – mit einer Fernsehkamera aus Holz. Ein Tischlerkollektiv hatte ihm diese Attrappen – nach seinen Angaben – gebaut. Der Avantgardist Stiletto schrieb darüber einen interessanten Text für das Merve- Bändchen „Geniale Dilettanten“. Er galerisierte auch die Holzjournalisten-Ausrüstung, nachdem Christian sie abgelegt hatte. Echte Journalistenausweise benötigt er jedoch weiterhin, weil er sie laufend verliert. In der taz bekam er irgendwann auch einen Schreibtisch, den er jedoch nie benutzt. Wenn er ein Flugblatt zu machen hat, dann tippt es ihm dort jemand. Er ist konsequent analphabetisch, manchmal bedauert er das, fürchte ich. Auch bei seinen Playback-Shows – „Volksmusik“ – verzichtet er auf genaue Textkenntnis: Er spielt die Platten und singt dazu über Lautsprecher. Die Musikkritik nennt das „subversiv“.

Bis auf die Bullen, mit denen er sich auf Demos ständig streitet, und die Zivis, die er immer wieder gerne enttarnt, mögen ihn eigentlich alle. Die Rathausparteien, speziell Grüne und PDS, wissen schon gar nicht mehr, was sie ohne ihn machen sollen. Wenn er sich mal drei Tage nicht bei ihnen blicken läßt, rufen sie sofort in der taz an und fragen besorgt, wo Christian steckt. Bei den Grünen hat er jetzt einen festen Job – als Diskussionspapierbote. Sie schenkten ihm außerdem ein Fahrrad und eine Bahncard. Die PDS lud ihn neulich nach Bonn ein. Die Reisegruppe bestand aus 50 Leuten. Nach den ersten Programmpunkten wollten die fünfköpfige AG Junge Genossen Treptow und ich uns abseits erholen, aber Christian hielt unser moralisches Gewissen auf Trab: „Da schlägt eine Mutter ihr Kind, los hin!“ Oder: „Dort wird gerade ein Penner von der Polizei abgeführt!“ Obwohl oder weil er friedlich der PDS-Kundgebung zur Erinnerung an die Verschleppung der Bonner Juden lauschte – „Das darf nicht sein, da müssen wir eingreifen. Die PDS guckt mal wieder weg!“ Die AG Junge Genossen Treptow und ich blieben zwar im Biergarten sitzen, aber – dank Christian – mit schlechtem Gewissen.

Ihm entgeht nicht die kleinste Ungerechtigkeit, selbst in die verwickeltsten Hierarchie-Sperenzchen der taz kann er mit schlafwandlerischer Sicherheit intervenieren. Wenn es um Moral geht, dann sind im Vergleich zu ihm selbst Kant und Camus ein Scheißdreck. Bevor die Grünen ihn anstellten, lief er ständig mit einer Sammelbüchse durch die taz-Etagen – jedesmal ging es um einen guten Zweck, d.h. um irgendwelche Opfer, denen unbedingt geholfen werden mußte. Wir gaben ihm reichlich, denn wir wußten, das Geld war vor allem für ihn selbst bestimmt.

Einmal nahmen ihn z.B. die Kreuzberger VW-Bus-Autonomen nicht mit zu einer Antifa- Demo nach Zittau, sofort sammelte er Geld – und fuhr mit einem Taxi nach Sachsen. Allein für das dumme Gesicht der Antifas, die das Taxifahren generell ablehnen, hätte ich ihm schon 500 Mark gespendet, er wollte aber nur fünf. Sogar der AG Junge Genossen Treptow, die an sich für jeden Quatsch zu haben ist, ist Christian manchmal zu „undogmatisch“ – so, wenn er sie z.B. bedrängt, geschlossen der FDP beizutreten. Ständig ist er mit Kampagnen oder Protestaktionen beschäftigt, und keiner weiß so gut wie er, wo welche Demo oder Veranstaltung stattfindet. Man will das ja meistens gar nicht so genau wissen, aber taz, Grüne und PDS leben nun mal von und auf diesem ganzen Mist (Humus). Das gilt auch für mich – als Sammler von Anekdoten (annektieren und dotieren lassen): Wenn ich Christian Specht zwei Wochen lang nicht gesehen habe, fühle ich mich vom wirklichen Leben wie abgeschnitten. Und so geht es vielen. Eigentlich traurig. Aber auf der anderen Seite spricht das natürlich für Christians Talent. Er ist ein Künstler des Sozialen, ach was: ein Young Urban Genius! Im Vergleich zu all diesen albernen Architekten, Planern, Stadtkritikern, -propagandisten, -developern: Urba-Nieten allesamt.

Wer wüßte das besser als die fassadenkritiktreibenden Grünen, die deswegen auch – wie früher das Tischlerkollektiv – seine Geburstagsparty ausrichten: „Ganz nach Christians Wünschen präsentieren wir einen bunten Abend mit Livemusik, ,gutem Futter‘ und politischer Diskussion.“ So soll es sein! Helmut Höge

Ab 20 Uhr im Prater, Kastanienallee 7–9, 10435 Berlin