Das große Jungsding

Lauryn Hill und Missy Elliott bestätigen die Regel: HipHop ist immer noch eine Männerdomäne. Unterhalb der Superstarebene läuft wenig – trotz Generationenwechsels  ■ Von Heike Blümner

Anthony Marshall ist gestreßt. Als einer der Betreiber der Lyricist Lounge, derzeit New Yorks erste Adresse für ernst gemeinten Independent-HipHop, wollen sowieso alle ständig irgendwas von ihm. Und jetzt auch noch das: Welche Frauen sich im Dunstkreis der Lyricist Lounge bewegen und ob er ihre Telefonnummern hat? Was für eine Frage! Die Suche beginnt. Nach akribischer Durchforstung von handgeschriebenen Listen, Karteikästen und Adreßbüchern finden sich ganze drei Nummern.

Frauen sind im HipHop immer noch Ausnahmeerscheinungen. Nachdem innerhalb der letzten Jahre Künstlerinnen wie Lil'Kim bis Lauryn Hill die Charts stürmten, schien es, als hätte sich das Problem von selbst gelöst. Mit einem wohlwollenden „Na endlich!“ wurden die Erfolge zur Kenntnis genommen, bevor man sich dem nächsten heißen Scheiß zuwandte. Der heißt Jurassic 5 oder Lyrycist Lounge oder X-ecutioners: Ehrliche Jungs führen in aufrichtigen Interessengemeinschaften HipHop zu den guten alten Skills zurück, schenken dem kommerziellen Pomp und Tand ein Naserümpfen und bringen so das Genre zur nächsten Ebene. Nur, und keiner hat's gemerkt, mal wieder ganz ohne Frauen. Und das obwohl die junge Generation von Rappern eher weniger vom Macker-Posing draufhat als die Kollegen vorausgegangener Zeiten.

Jane Doe ist die einzige Frau, die neben fünfzig Rappern bei der Lyricist-Lounge-Record-Release- Party aufgetreten ist. Mit ihren zwanzig Jahren erscheint sie genauso schüchtern wie forsch, immer in dem Dilemma, „sich an den Jungs zu messen und so gut zu sein wie sie“. Dabei will sie keinen Sonderstatus aufgrund ihres Geschlechts einnehmen, wird aber genau damit ständig konfrontiert. „I'm Sixty Percent Male, Forty Percent Bitch“, schleudert sie dem Publikum am Abend der Party entgegen. Was sie damit meint? „Die Männer wollen Frauen, die sie so gut unterhalten wie andere Männer. Aber gleichzeitig wollen sie auch was Hübsches zum Anschauen haben. Ich sage nicht, daß es richtig ist, aber eine Frau muß bis zu einem gewissen Grad mit ihrem Sexappeal spielen. Das heißt, wenn du nur schön bist und langweiliges Zeug erzählst, werden sie dir nicht zuhören. Aber wenn du so gut sein kannst wie Redman oder Method Man und dabei auch noch richtig gut aussiehst, dann ist das ein echter Vorteil“, sagt sie.

Die jüngeren HipHop-Künstlerinnen nehmen die Widrigkeiten des Business zur Kenntnis, zieren sich aber, darüber zu jammern, oder interpretieren sie für sich als besondere Herausforderung. Schließlich wollen sie nicht als „Girlie“ oder verweichlicht gelten, wollen es mit der ganzen Heerschar der männlichen Kollegen auf einmal aufnehmen. Auf die Frage, wie sie es geschafft habe, bei der Lyricist Lounge unterzukommen, wird Jane Doe ein wenig unruhig. Sie verlangt, daß die Kamera ausgeschaltet wird, und sagt: „Also ehrlich gesagt, die Macher der Lyricist Lounge sind gar nicht daran interessiert, junge Frauen zu unterstützen. Ich trete dort gelegentlich auf, weil Freunde von mir auf dem Lyricist-Lounge-Album sind.“ Inzwischen hat Jane Doe es zur Gastrapperin auf dem aktuellen A-Tribe-Called-Quest-Album gebracht. Schwer zu sagen, wie es weitergeht, denn sie weiß selbst, wie schnell sich der von ihr propagierte Vorteil von „weiblicher“ Erscheinung und „männlichen“ Skills zum Nachteil wandelt: „Die Plattenfirmen und Manager glauben doch, daß Frauen nur dann besonders viele Platten verkaufen können, wenn sie besonders viel Sexappeal einsetzen. Es ist sehr, sehr schwer, einen Plattenvertrag zu bekommen, vor allem, wenn du deinen Sexappeal nicht benutzt.“

Ist „das Business“ also wieder mal an allem schuld? Rennen die Plattenfirmen einem weiblichen Image hinterher, das keiner mehr erfüllen mag und auch niemand mehr sehen will? Als der letzte Frauen-und-HipHop-Boom 1997 losging, waren es vor allem Foxy Brown und Lil'Kim, die mit ihren Alben Furore machten. Lil'Kim sorgte mit ihrer expliziten bis naturalistischen Darstellung der Dreifaltigkeit Sex, Macht und Geld für einen mittleren Diskurs-Taifun: Darf man, soll man, kann man das so machen? Und auch noch als Frau? Diese Fragen haben sich vorerst erledigt, denn von beiden Künstlerinnen ward seitdem nichts mehr gehört. Vorerst, denn Foxy Brown – die übrigens ihren ersten Auftritt in der Lyricist Lounge hatte – wird demnächst ein neues Album herausbringen. Statt dessen kulminiert sich alle Hoffnung, Bewunderung und Projektion auf zwei Frauen: Lauryn Hill und Missy Elliott. Wunderkindfrau Lauryn Hill, bekannt als Fugees- Sängerin, hat mit dreiundzwanzig Jahren gerade ihr erstes Soloalbum herausgebracht. Selbst geschrieben und produziert, versteht sich. Auch das Video ist eigenproduziert, sie hat eine Stiftung für Inner-City-Kids gegründet, selbst ein Kind bekommen und ist gerade wieder schwanger. Für ihre Arbeit wurde sie kürzlich für zehn Grammys nominiert. Sie hat für alle Widrigkeiten des Lebens einen Ratschlag auf den Lippen – wobei sie jedem seine eigenen Erfahrungen zusteht – und sieht obendrein noch unfaßbar schön aus.

Missy Elliott hingegen ist die symphatische und exzentrische Macherin, die weniger am aufklärerischen Gestus des Songs interessiert ist als an seiner perfekten Produktion. Tatsächlich ist sie die erste und einzige Frau, die jedem erfolgreichen Produzenten dieser Zeit das Wasser reichen kann. In puncto Sound sowieso, aber auch in puncto finanzieller Erfolg. Lauryn Hill und Missy Elliott sind hundertprozentig vorbildtauglich, doch was, wenn es auch ein bißchen weniger Perfektion sein darf? Zwischen Lauryn Hill und Jane Doe, der Nachwuchskünstlerin aus der Lyricist Lounge, klafft eine große Lücke, unterhalb der Superstarebene passiert lange Zeit erst mal so gut wie gar nichts. Wenige Frauen, wie beispielsweise die HipHopperin Bahamadia aus Philadelphia, haben für sich eine Art unabhängiges Zwischenmodell für ihr Leben und ihre Arbeit entwickelt, in einem Business, das immer komplexer und paranoider wird. Ein Business, wo unfaßbare Mengen von Geld umgeschichtet werden und erfolgreiche Künstler und Künstlerinnen mindestens fünf Manager brauchen, die sich untereinander oft nicht verstehen.

HipHop ist immer noch das große Jungsding, bei dem die Frauen irgendwie mitspielen wollen. Und möglichst niemand die Anstrengung mitkriegen soll, die es erfordert, sich durchzusetzen. Oder, wie die Rapperin Roxanne Shanté es sagt: „Eine Feministin nutzt nicht ihre Reize, um das zu kriegen, was sie will. Sie nutzt ihre gottgebenen Eigenschaften, ihrer Bestimmung zu entfliehen. So gesehen bin ich Feministin.“

Von der Autorin stammt der Filmbericht „HipHop Queens“, der am Sonntag, dem 10.1., um 0.45 Uhr auf Arte in der Reihe „Lost in Music“ ausgestrahlt wird.