Das Portrait
: Eintagsfliege mit Perspektiven

■ Rainer Schüttler

Das Bonmot mit der Wüste, in die er von Boris Becker geschickt worden sei, konnte sich kaum jemand verkneifen, nachdem Rainer Schüttler mit einer Reihe von erstaunlichen Siegen den Einzug ins Endspiel der Katar Open in Doha geschafft hatte. Schließlich war der 22jährige vom obersten Nachwuchsspezialisten des deutschen Tennissports persönlich aus dem Förderkonzept entfernt worden, weil Becker keine Perspektive für den jungen Mann aus Bad Homburg sah. Über den Umweg des B-Kaders, in den ihn der Deutsche Tennis-Bund (DTB) trotz des vernichtenden Verdikts vom Teamchef wieder aufnahm, konnte Schüttler jedoch weiter an der ATP-Tour teilnehmen und bedankte sich in Doha mit Siegen gegen Andrej Medwedew, Daniel Vacek, Goran Ivanisevic und Cedric Pioline. Zuvor hatte er als 111. der Weltrangliste noch drei Matches in der Qualifikation bestreiten müssen und sich eigentlich „das Erreichen von Runde zwei“ zum Ziel gesetzt. Mit seinen Erfolgen gegen weit höher plazierte Spieler schiebt sich der Finalist von Katar, dessen Match gegen den Briten Tim Henman gestern nach Redaktionsschluß dieser Ausgabe stattfand, etwa auf Rang 75 vor. „Davon habe ich immer geträumt“, meinte Schüttler.

Schade fand er es nur, daß Boris Becker seine Großtaten nicht vor Ort verfolgen konnte. Der 31jährige Gelegenheitsprofi hatte seinen geplanten Start in Doha abgesagt. „Er wird meine Siege auch aus der Entfernung mitbekommen und gesehen haben, daß ich keine Eintagsfliege bin“, tröstete sich Rainer Schüttler, der letzteres allerdings erst noch beweisen muß. Die kommenden Turniere des Jahres werden zeigen, ob sein starker Katar- Auftritt mehr der nachweihnachtlichen Schlaffheit der etablierten Leute zuzuschreiben oder tatsächlich Ausdruck eines gereiften und druckvollen Spiels ist.

Cedric Pioline, immerhin 18. der Weltrangliste, sieht jedenfalls gute Perspektiven für den Deutschen. „Er hat unglaubliche Schläge drauf“, lobte der Franzose nach seiner 6:3, 2:6, 5:7-Niederlage. Neben seiner starken Rückhand gehören Schnelligkeit und Kampfkraft zu den Tugenden des Verfemten, der sich in der Wüste gute Chancen geschaffen hat, doch noch Gnade vor den Augen des allgewaltigen Becker zu finden. Matti Lieske