Botschaften vom umgebauten Mann

■ Queerness ohne parodistische Züge ist selten: Das Männerensemble inszenierte das Drama „Die Bakchen“ im Theater Zerbrochene Fenster

Im Turnsaal herrscht Zucht und Ordnung. Links die Sprossenwand, rechts zwei Trimm-dich-Leitern, mittendrin ein Seitpferd. Überm Linoleum kreuzen sich bunte Spielfeldmarkierungen. Tatsächlich wird gerade dort, wo dem gesunden Geist gesunde Körper anerzogen werden sollen, gespielt: Der Turnsaal ist Bühne. Geboten wird Euripides' widerspenstige Tragödie „Die Bakchen“. Nach Shakespeares „Romeo und Julia“ und Goldonis „Krach in Chiozza“ inszeniert das vor zwei Jahren gegründete, mit dem Kritikerpreis der Berliner Zeitung ausgezeichnete und gerade in die Basisförderung des Senats gehievte Männerensemble erneut einen kanonisierten Dramentext unter der Regie von Jan Oberndorff.

Obschon aufführungsgeschichtlich korrekt – die alten Griechen gestatteten das Theaterspiel nur Männern –, liefern Männer in Frauenrollen auch zum Ende der Postmoderne erstaunliche Irritationspotentiale. Einer Queerness, die nicht allein parodistisch wirkt, begegnet man einfach zu selten, als daß sie als bloß ästhetische Kuriosität abgetan werden könnte.

Der thebanische Herrscher Pentheus (Benjamin Kiss) als Verteidiger des patriarchalen Gesetzes steht für Staat, Vernunft und Ordnung, während sein göttlicher Widersacher Dionysos (Mathias Noack) das Volk zur zersetzenden Feier anstiftet. Da Dionysos sämtliche Frauen Thebens – die Bakchen – zu sich ins Gebirge gelockt hat, wo sie im Dauerrausch kopulieren und im Überschwang auch mal ein Männlein zerreißen, stehen downtown die Webstühle still.

Jan Oberndorff überträgt die antike Textstrenge auf die Bühne, indem er seine dreizehn Schauspieler nicht aus dem Turnsaal (Bühne: Mark Rosinski) entläßt. Keine Auf- und Abgänge, sondern die simultane Präsenz unterschiedlicher Orte, Gruppen und Ereignisse: das ist Berlin, behauptet das Programmheft.

Die Bakchen sind sechs notdürftig mit Nylons, Röckchen und Tattoos bekleidete Jünglinge. Doch die Orgie findet nicht statt. Im lasziven Stöhnen, hysterischen Fauchen und lüsternen Lippenschürzen blitzt mehr Bedrohung als Hemmungslosigkeit auf, und als für Minuten ein brüllender Technosound aufgedreht wird, recken alle so widerstrebend die Arme gen Himmel, als seien sie in einen Erweckungsgottesdienst strafversetzt. Derweil versucht Pentheus, des aufrührerischen Gottes habhaft zu werden. Doch umgekehrt überredet der maskierte Dionysos den Tyrann, sich als Frau verkleidet in die Berge zu schleichen, um dort die Mechanismen der Weiberekstase aufzuspüren. Im Gebirge dann wird er von seiner eigenen Mutter und deren Schwestern zerfleischt.

Die destruktiven Energien der (sexuellen) Revolution entladen sich tragisch, selbst wenn sie dem Publikum nur von Boten des Königs nachgespielt werden. Trotz zahlreicher (homo)erotischer Situationen und Queer-Verbindungen, ja, trotz des dionysischen Sieges im kultischen Tod des Pentheus funktioniert zwar das Spiel, nicht aber die ersehnte Lust. Eine unheimliche Botschaft, zumal für das „neue Berlin“. Eva Behrendt

Bis 15.2., Do.–Mo., 20.30 Uhr, Theater Zerbrochene Fenster