Eine Subkultur der Korruption

Während das IOC den Auschluß von bestechlichen Mitgliedern vorantreibt, wird immer dringlicher eine komplette Erneuerung der Organisation verlangt  ■ Von Matti Lieske

Berlin (taz) – „Das IOC möchte sein volles Vertrauen in die Organisatoren der Winterspiele 2002 bekräftigen und hat keinen Zweifel an ihrer Fähigkeit, den totalen Erfolg dieser Spiele zu gewährleisten“, verriet Juan Antonio Samaranch, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, dem Gouverneur von Utah, Michael Leavitt, am Telefon. Just einen Tag vorher war Frank Joklik, der Chef des Organisationskomitees (SLOC) der Spiele in Salt Lake City, aufgrund des galoppierenden Korruptionsskandals um die Olympiavergabe zurückgetreten.

Es darf bezweifelt werden, daß Samaranchs Zuspruch im Bundesstaat Utah derzeit willkommen ist. SLOC-Mitglied Ken Bullock jedenfalls findet, daß nach Joklik eigentlich auch der IOC-Boß zurücktreten müßte. Solange das nicht geschehen sei, so Bullock, „wird die Olympische Bewegung nicht in der Lage sein voranzukommen“. Samaranch jedoch ist entschlossen, seine noch zwei Jahre dauernde Amtszeit „bis zum letzten Tag“ durchzustehen. Am 21. Januar wird er in New York der Premiere des Films „Olympic Glory“ beiwohnen, und eigentlich wollte sich der Grande aus Barcelona dort für seine Verdienste feiern lassen. Statt dessen wird er sich unbequemen Fragen nach der Integrität des IOC und seiner selbst aussetzen müssen.

Unversehens ist die mächtigste und selbstherrlichste aller Sportorganisationen in ihre größte Krise geschlittert, aus der ihr auch die Krokodilstränen diverser Funktionäre nicht heraushelfen können, die plötzlich helles Erstaunen über seit Jahren offenkundige Vorgänge heucheln. „Wir müssen die schlechten Äpfel aussortieren“, sagt der Kanadier Richard Pound, der gern Nachfolger von Samaranch werden will und die Untersuchungskomission des IOC zum Fall Salt Lake City leitet. Bis zu zwölf korrupte IOC-Mitglieder sollen seine Recherchen enttarnt haben, diese erhalten nun Briefe, in denen sie aufgefordert werden, sich zu den Vorwürfen zu äußern. „Es wird keine Hinrichtungen geben“, sagt die amerikanische IOC- Vizepräsidentin Anita DeFrantz, „aber wir werden weniger Mitglieder haben.“

Kritiker der selbsternannten Olympiaverwalter glauben indes, daß nicht verdorbene Äpfel das Problem sind, sondern der ganze Baum verrottet ist. Zwar hat sich noch keiner der olympischen Topsponsoren zurückgezogen, aber wichtige Geldgeber haben ihre Besorgnis geäußert. „Es geht an das Herz dessen, weshalb wir uns für Olympia engagieren“, droht ein Sprecher von Coca-Cola, und auch Richard Pound weiß: „Das IOC selbst muß zeigen, daß es dem höchsten Standard ethischen Verhaltens gerecht wird.“ Utahs Gouverneur Leavitt spricht aus, woran es dem IOC mangelt. „Macht, die nicht kontrolliert wird, ist Macht, die mißbraucht wird“, sagt der Politiker und bekräftigt: „Die Subkultur der Korruption im IOC hat nicht in Salt Lake City angefangen. Aber sie sollte hier enden.“

Bei ihrer Exekutivsitzung am 24. Januar werden die IOC-Oberen kaum um eine Neustrukturierung der Vergabe von Olympischen Spielen herumkommen, welche diese durchschaubarer und seriöser macht. Auch werden sie sich mit den vielen Stimmen auseinandersetzen müssen, die eine Neustrukturierung der IOC-Führung verlangen. Klar ist, daß die Organisation ums Überleben kämpft, auch wenn dies Leute wie François Carrard noch nicht gemerkt haben. Der IOC-Generaldirektor spricht unverdrossen von einer „Atmosphäre der Hexenjagd, ich muß fast sagen, des McCarthyismus gegen das IOC.“ Mit dieser These wird er selbst in Salt Lake City nicht viele Freunde gewinnen.