Hirn im Herzstück

■ Jungenmörder Jürgen Bartsch im Lastenaufzug des Thalia Theaters

Dort, wo alles aufs Theater ausgerichtet ist, hat Theater es nicht immer am einfachsten. Die freie Gruppe, die im Sommer MacBeth im leerstehenden Millerntorhochhaus gab, hatte vermutlich ein leichteres Spiel als das Duo Stephanie Kunz/Helmut Zhuber mit seinem Vorhaben, Oliver Reeses Monolog Bartsch, Kindermörder auf 18 Quadratmetern Thalia Theater zu spielen. Denn die erwählten 18 Quadratmeter, die Bühne und Zuschauerraum umfassen, sind der Lastenaufzug des Theaters, und dieser bis dato selten im Rampenlicht stehende Aufzug erweist sich plötzlich als das Herzstück des Hauses.

Nicht nur, daß damit alle Kulissen befördert werden, so daß er selten zu betreten ist; seine durchaus sinnvolle Plazierung direkt hinter der Bühne machten die Proben auch dann unmöglich, wenn er leer war. Ohne Schalldämpfung ist der Metallkasten weder abends während der Vorstellungen noch tagsüber während der Proben bespielbar. So fanden sich die junge Regisseurin Stephanie Kunz und der Schauspieler Helmut Zhuber, seit dieser Spielzeit neu am Thalia Theater, allabendlich gegen Mitternacht für ihr Projekt zusammen.

Die Raumwahl hat Konzept: Ein-engung und Ausweglosigkeit bestimmten das Leben des Jürgen Bartsch, der als „der Kirmesmörder“ in den 60ern traurige Geschichte machte. Zwischen seinem 15. und 19. Lebensjahr brachte er vier Jungen auf grausamste Art um. „Bar-tsch wuchs in einem Kellerraum auf, schleppte seine Opfer in eine Höhle, verbrachte 10 Jahre im Gefängnis. Man hat ihn in die Enge gezwungen, aber gleichzeitig suchte er sie als Ort der Geborgenheit. Er war eingeschlossen im eigenen Hirn.“

Es sind vor allem die Gegensätze, die Kunz an Bartsch interessieren. Die Morde seien ein verunglückter Versuch, Zärtlichkeit auszutauschen; gleichzeitig inszeniert das ungeliebte Stiefkind in ihnen, was ihm selbst angetan wurde, folgt Kunz Alice Millers Interpretation. Der Fall hatte vor 30 Jahren eine lebhafte Debatte über die menschliche Bestimmung durch Genetik bzw. Sozialisation ausgelöst. Zhuber interessiert an Bartsch vor allem, „daß der alles wieder gutmachen wollte“; im Gefängnis verlangte er nach Therapie, die letztlich seinen Tod bedeutete. Bei der Kastration starb Bartsch an einem Narkosefehler.

Nur 16 Zuschauer passen in den Fahrstuhl, in dem Zhuber alias Bartsch 90 Minuten lang seine Geschichte erzählen wird. Das Publikum soll schwanken zwischen Ekel und Mitleid. Umfallen kann es dabei nicht, denn die Tür hinter ihm ist geschlossen. No Exit.

Christiane Kühl

Premiere: Sonntag, 24. Januar, 23 Uhr, Thalia Theater