"Ich mag Wüstenlandschaften"

■ Mit seinem Projekt "Wunder" hat Jörg Follert aus Köln ein Album produziert, das elektronische Musik mit warmen Melodien belebt. Ein Gespräch über digitale Erfahrungen, persönliche Befreiung und Orte jenseits d

Während sich immer mehr elektronische Musiker im Kabelsalat der Cyborg-Werdung verstricken, hat Jörg Follert das Persönliche wiederentdeckt. Der 30jährige Kölner ist hauptberuflich als Video- Grafiker beim Musiksender Viva beschäftigt und hat mit „Wunder“ ein Album geschaffen, das der Kälte von elektronischen Produktionen den goldenen Glanz spätsommerlicher Tage einhaucht. „Wunder“ klingt schon beim ersten Hören so vertraut wie eine Lieblingsplatte. Ambiente Klangminiaturen bauen sich um beseelte Melodien auf, die mehr Beautiful als Easy Listening sind. Wunder gibt dem Tanzbein des Clubhoppers die wohlverdiente Feuerpause und umarmt dafür das Herz des Musikliebhabers.

taz: Wenn Sie nach einem stressigen Arbeitstag nach Hause kommen, welche Platte legen Sie auf?

Jörg Follert: Ich höre im Moment gerne Jazz. In letzter Zeit viel Duke Ellington.

Welche Platten haben Sie als Samplequelle für „Wunder“ verwendet?

Billie Holiday, eine B-Seite von den Bee Gees, den Tango-Akkordeon-Spieler Astor Piazzolla, das Amah-Jamal-Trio, eine tschechoslowakische Country-Gruppe... Auf jeden Fall hab ich zu der Zeit auch viele Platten aus meiner Jugend rausgekramt. Das war dann so, als ob man seine alten Tagebücher noch mal lesen würde.

Was können Samples alles transportieren?

Samples sind die Grundlage, um anzufangen. Ich habe versucht, die Atmosphäre, die da drinsteckt, zu bewahren und drum herum etwas zu stricken. Instinktiv habe ich die Stellen ausgewählt, die mich am meisten mitgenommen haben, die ich schön finde.

Was finden Sie noch schön?

Für mich sind es Landschaften. Ich mag Wüstenlandschaften sehr gerne. Freie Räume, wo nur ein paar Sachen sind, die völlig ausreichen, um mich froh zu machen.

„Wunder“ hat einen verträumten, sehnsüchtigen Sound. Versuchen Sie etwas zurückzuholen, was verlorengegangen ist?

Ich wollte, daß „Wunder“ persönlich ist. Am Anfang, als die elektronische Musik aufkam, freuten sich alle: Endlich keine Stars mehr und so. Ich fand diese Entpersonalisierung auch toll. Aber gerade in den experimentellen Elektroniksachen ging es dann teilweise nur noch um das Equipment. Emotional gesehen, hat mich die Geburt meines Sohnes beeindruckt. Erst mal dachte ich, daß es total uncool ist, ein Kind zu haben. Aber dann habe ich gemerkt, daß ich nichts vermisse. Das war so eine Art Befreiung von der Szenekultur, in der ich mich irgendwann nicht mehr wiedergefunden habe. Auch wegen der unausgesprochenen Vorgaben, nach denen man sich zu richten hatte.

Gefällt Ihrem Sohn Ihre Platte?

Ich glaube, der ist noch zu jung. Der kommt immer nur rein, wenn er seine gesampelte Stimme hört, und fragt dann: „Bin ich das?“

Im Gegensatz zu vielen anderen elektronischen Produktionen spielen Melodien in Ihrer Musik eine zentrale Rolle.

Das war so der Wechsel. Meine erste Veröffentlichung war eine Drum-'n'-Bass-Platte. Als die Standardbeats sich durchgesetzt haben, verlor ich das Interesse an Breakbeats. Da konnte ich nicht mehr zu tanzen, und ich tanze supergern. Ich habe dann gemacht, was mir schon immer leichtgefallen ist, und das fiel immer mit Melodien zusammen. Rhythmisch bin ich gar nicht so gut. Melodien sind einfach, sie sind da, bei mir. Bei „Wunder“ war ich mit den Ergebnissen schneller zufrieden als bei meinen Breakbeat-Sachen. Einige Stücke sind an einem Nachmittag entstanden, indem ich einfach nur rumgespielt habe.

Welche Beziehung haben Sie zu Ihren Maschinen?

Ich sehe sie als Werkzeug für meine Unfähigkeit als Musiker. Ich kann halt keine Noten lesen oder ein Instrument gut genug spielen. Computer ersparen mir, bestimmte Dinge extrem lange erlernen zu müssen. Insofern machen mich meine Maschinen schon glücklich. Sie erleichtern mir das Leben.

Sie arbeiten hauptberuflich als Screen Designer. Sehen Sie in der digitalen Produktion von Klang und Bild Parallelen?

Arbeitsweise und Geräte sind frappierend ähnlich. Irgendwann wird es vollkommen normal sein, daß jemand, der Bilder macht, auch Töne macht und umgekehrt. Ich sitze auch schon mit meinem tragbaren Computer neben meinem Videoarbeitsplatz und mache die Musik parallel, weil es einfach Sinn macht...

War es für Sie eine Überraschung, daß „Wunder“ so großen Zuspruch gefunden hat?

Als die Platte fertig war, habe ich mir gedacht, entweder kommt sie gut an, oder sie floppt total. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß sie so lala läuft. Von der Menge, die für eine Independent-Veröffentlichung verkauft wurde, bin ich schon überrascht.

Wer hört Ihre Musik?

Anscheinend die verschiedensten Leute. Auch Eltern von Freunden fanden die Platte gut. Ich glaube, das ist positiv. Zumal ich ja jetzt auch „Eltern“ bin.

Wird es ein zweites „Wunder“ geben?

Ich möchte, daß die Platte für sich bleibt. Ich mag auch im Kino keine Sequels – außer Alien 2. Aber musikalisch geht es weiter. Mal sehen, was passiert – wir bekommen ja jetzt noch ein Kind. Interview: Uh-Young Kim

„Wunder“ wird heute abend im Rahmen der Ocean Club Night (mit Sun Electric, Thomas Fehlmann, Gudrun Gut) auf dem Atonal-Festival im Glashaus/Berlin zum ersten Mal live umgesetzt.