Amokläuferin im Wortgestrüpp

Die Verwandlung von Wirklichkeit in Poesie: Friederike Mayröckers Prosa „brütt oder Die seufzenden Gärten  ■ Von Diemut Roether

Schreiben als Gnade: Da sind die Einfälle, die der Dichterin Friederike Mayröcker zufallen, wenn sie etwa mit dem Wort „KUSSLANDSCHAFT“ aus dem Mittagschlaf erwacht. Und Schreiben als Arbeit mit und an den Worten: Da ist der Zettelschatz, voller Einfälle und Exzerpte, ihr wertvollster Rohstoff, aus dem sie in mühsamer, langwieriger Arbeit Zeilen und Sätze bildet, die sie sogleich wieder verwirft und umschreibt – bis am Ende doch ein Gedicht oder ein Prosastück stehenbleibt.

Den mühevollen und zugleich beglückenden Prozeß des Schreibens und Sätzebildens macht Mayröcker so transparent wie kaum ein anderer Schriftsteller, und es lohnt sich, ihr bei der Arbeit zuzusehen. Denn diese Sprachbesessene betreibt keine selbstverliebte Nabelschau, es geht ihr um nichts Geringeres als die „Verwandlung von Wirklichkeit in Poesie“. Friederike Mayröcker lebt durch das Schreiben und im Schreiben, die Arbeit mit Wörtern ist ihr Himmelreich und Hölle zugleich, und das Ärgste ist der 74jährigen der Gedanke, eines Tages sterben zu müssen: „voller Wut und Verwilderung bin ich, angesichts der Ausweglosigkeit des eigenen Todes.“

Für Mayröcker sind Schreiben und Lesen heilige Handlungen. Ihre Bücher erlauben daher kein flüchtiges, entspanntes Lektüreerlebnis, und auch das jüngste Prosawerk der Dichterin, „brütt oder Die seufzenden Gärten“, bedeutet Arbeit. Doch ihr zu folgen, wie sie sich einen Weg durch ihr eigenes „Wortgestrüpp“ bahnt, mal humpelnd, mal „HOPSEND“, und dabei mitzuerleben, wie sie sich in eine „atmende / was heißt atmende : KEUCHENDE : Tastenmaschine“ verwandelt, ist immer auch ein Gewinn. Denn Friederike Mayröcker ist nicht nur anspruchsvoll, sie hat eine hohe Meinung von ihrem Leser: „ich denke es ist sein innerster Wunsch, sein innerstes Bedürfnis, verführt zu werden bei der Lektüre, hierhin- und dorthin gezogen, geführt, geleitet, gerissen, ganz hoch hinauf, ganz tief hinunter : in den Himmel der Sprache : in die Hölle der Sprache, bis er atemlos das Buch aus der Hand legt, weil er am Ende ist seiner Kräfte.“ Manchmal nimmt die Dichterin den Leser auf dem Weg durch Himmel und Hölle auch an die Hand, sie spricht ihn an, bedauert ihn sogar oder „umarmt“ ihn wie einen vertrauten Freund.

Von Liebesphantasie und Sonnenschein

Wie ein Motto hat Mayröcker dem Buch ein Zitat aus dem Brief eines Freundes, den sie „X (oder Wilhelm oder Ferdinand)“ nennt, vorangestellt: „Ich erlebe nun eine Liebesgeschichte : meine letzte muß es heißen. Die Lebensfreude, von der ich schrieb, ist ja nicht alles was passiert, es gibt auch das Erschrecken darüber wie glücklich oder unglücklich ich mit einemmale sein kann – und daß ich in einem nie gewollten Ausmaß wieder wie jung und dumm bin.“ Vordergründig, ganz vordergründig geht es also in diesem Buch, das sich Roman nennt, auch um eine Liebesgeschichte, besser gesagt, die Phantasie einer Liebe, samt ihren Verwirrungen, Hoffnungen, Enttäuschungen, Vernichtungen. Doch eine richtige Geschichte sucht man vergeblich, denn alles Anekdotische widerstrebt Mayröckers literarischem Programm: „Ich habe immer vermieden, eine Story zu machen“, sagte sie 1975 in einem Hörfunkinterview, denn auch ihr eigenes Leben, das Leben überhaupt, widersetze sich dem chronologischen Erzählen.

Natürlich geht es in erster Linie um die „Schreibhysterie“ der Dichterin, „eine schnurrige Krankheit, nicht wahr, dieses Schreibenkönnen : Nichtschreibenkönnen, idotisch nach einem treffenden Wort grübeln“. Das Schreiben über das Schreiben wirkt bei ihr nie verkrampft, weil sie es unterlegt mit einem flirrenden Gewebe aus Farben, Klängen, Gerüchen, Eindrücken, Erinnerungen und Assoziationen. Mit Mayröckerscher Akribie werden alle Bäume und Pflanzen bei ihren wohlklingenden Namen genannt: Robinienbäume, Berberitzensträucher, Pelargonien, Glyzinien. Die Farbpalette reicht von Malvenfarbig über Lichtgrün und Blutrot bis Eisblumenblau. Im Fahrstuhl riecht es „nach frischen Haaren“, genauer nach „vom kalten, nach einem Regen frisch gewaschenen Wind durchwehten Haaren“, die Wohnung hingegen hat den „Geschmack oder Geruch von ÜBERREST“, dann wieder weht der „Atem des Zirbelholzes“ durch das Buch.

Das Schreiben wird untermalt von Gebimmel und Geläute, Geklimper, gelegentlich auch von Gemurmel, zum Beispiel im Gasthaus die „rauchige Glocke von gedämpften Stimmen und Vibrationen“. Oder die Schreibarbeit wird unterbrochen – jäh abgebrochen – vom Klingeln des Telefons oder vom Lärm einer Mähmaschine, der durch das Fenster hereindringt und die Dichterin aus ihrem „Schreib-Himmelreich“ herunterholt. Typisch für Mayröcker sind auch die synästhetischen Sinneswahrnehmungen, die ihre Texte so farbig und lichtdurchflutet, oft sogar heiter erscheinen lassen: „ich horche, horche auf die Sonne, ich meine ich schaue ob sie scheint, was für 1 verrücktes Wort DIE SONNE SCHEINT.“

Mayröcker-Leser sind bereits gewohnt an ihre eigenwillige Zeichensetzung, an ihre mit Lauten und Bedeutungen spielenden Assoziationsketten und an die Hervorhebung einzelner Textstellen durch Kursiv- oder Großschreibung. Kursiv, so schreibt sie, steht für ihre „elegische Stimmung“, während die groß geschriebenen Sätze wie Ausrufungen wirken – und den Eindruck verstärken, daß es in diesem Buch ziemlich laut zugeht: „werkimmanent! schreie ich, es handelt sich um das Modewort werkimmanent.“

Verrenkte Figuren, aufs Papier geworfen

Friederike Mayröcker braucht, um ihre Gedanken und Beobachtungen mitteilen zu können, einen Adressaten. Diesmal heißen die Ansprechpartner Alma, Blum, Joseph, Lily und X (oder Wilhelm oder Ferdinand). Mit ihnen führt sie ein atemloses, fortwährendes, als Zwiegespräch oder Briefwechsel getarntes Selbstgespräch, begleitet von vergewissernden Einschiebseln wie „nicht wahr“, „ich meine“, „frage ich meinen Leser, nein ich frage ihn nicht, das ist 1 alter Hut, ich frage keinesfalls meinen Leser, das ist veraltet, ich frage Blum und Joseph oder sonst 1 Figur in meinem Buch“. Dabei läßt die gewiefte Theoretikerin und Interpretin ihrer eigenen Texte keinen Zweifel daran, daß es sich keineswegs um echte Menschen handelt, sondern um „Pappkameraden“, Erfindungen ihres lyrischen Ichs, das sich sofort beschwert über die verzeichnende Behandlung durch die Autorin: „jemand hat mich hingeworfen auf dieses Blatt Papier als verrenkte Figur.“

Friederike Mayröcker hielt stets an der „Biografielosigkeit“ ihres Schreibens fest. Dennoch ist auch dieses Buch wie viele ihrer Texte ein Selbstporträt im Wortsteinbruch. Bei dem Wort „Papierwucherungen“ sieht man die Fotos ihrer Wohnung vor sich, in der sich Zeitungen, Bücher und Notizen waschkorbweise stapeln. Dazwischen das aus ihren Texten bekannte Mobiliar: das „Lotterbett“ und der „Honigtisch“. Die Wohnung sieht aus wie ein Abbild des „Wortgestrüpps“, durch das sich die Amokläuferin in ihren Büchern kämpft, und da das Chaos zum Mythos Mayröcker gehört, rückt das lyrische Ich es kokett für den Fotografen ins rechte Licht: „also ließ ich alles verstreut, auf dem Fußboden, auf Tischen und Schränken, 1 wenig um anzugeben, mit diesem Phönix Buch Original Buch, diesem Urwald, um anzugeben mit diesem Urwald.“

Friederike Mayröcker: „brütt oder Die seufzenden Gärten“, Suhrkamp Verlag, 350 Seiten, 44 DM

Mayröcker-Gedichte aus mehr als 30 Jahren sind soeben in einer neuen Auswahl im Suhrkamp Verlag erschienen: Friederike Mayröcker: „Benachbarte Metalle“. Mit einem Nachwort von Thomas Kling. 160 Seiten, 22,80 DM