Die Loyalität der Hardliner

■ Der neue Justizsenator Wolfgang Hoffmann-Riem im taz-Interview über Spritzentausch und Abschiebehaft

taz: Worin unterscheiden Sie sich von Ihrem ebenfalls parteilosen Vorgänger Klaus Hardraht?

Wolfgang Hoffmann-Riem: Der Unterschied liegt in der Schwerpunktsetzung: Ich bin sehr an konzeptionellen Fragen interessiert, auch im justizpolitischen Bereich. Hardraht hatte sich in den ersten zwei Jahren verstärkt der Reformierung und Modernisierung der administrativen Dinge angenommen. Durch seine Vorarbeit hoffe ich, mehr Freiräume zu haben, um justizpolitisch meine Stimme erheben zu können.

Kann das auch eine Kursänderung bedeuten?

Ich bin Realist: In einer halben Legislaturperiode kann man nicht völlig neu steuern. Ich werde also vieles fortsetzen, es sei denn, ich habe wichtige Gründe dagegen.

Was sind das für justizpolitische Konzepte, für die Sie Ihre Stimme erheben wollen?

Der erste Punkt ist „Krise als Chance“. Ich möchte davon runter, die Schuld nur bei anderen zu suchen. Wir sind in einer immensen finanziellen Krisensituation. Nun halte ich nichts davon, darauf nur mit Jammern zu reagieren. Ich möchte das als Anstoß nehmen, innerhalb der Justiz zu fragen, wo sich Reformen durchführen lassen, die auch, aber nicht nur, unter finanziellen Aspekten sinnvoll sind.

Das Zweite ist, daß man auch aus Hamburg zu der Frage, wie der justizpolitische Karren gezogen werden muß, etwas hören sollte. Ich mache keinen Hehl daraus, daß ich ein Anhänger des liberalen Strafvollzugs bin.

Das war Herr Hardraht auch, ist aber am Apparat gescheitert. Beispiel: Spritzentausch im Knast.

Da ist er doch gar nicht gescheitert. Er hat nur eine langsamere Strategie gefahre als die Kommission vorschlug. Das halte ich auch für richtig. Eine liberale Drogenpolitik kann man nicht gegen den Widerstand der Vollzugsbeamten durchsetzen. Man muß eine weiche Einführungsstrategie haben, wenn man Erfolg haben will.

Wie soll es jetzt mit Spritzentausch im Knast weitergehen?

Wir werden Gespräche führen, um zu sehen, welche Anstalt sich für ein Pilotprojekt am besten eignet, dort Erfahrungen sammeln und auch Erfahrungen für die Beamten zulassen. Die Beamten stehen vor einem schwierigen Problem: Nirgendwo in der Gesellschaft liegen Drogenrepression und Drogenhilfe in einer Hand.

Wie wollen Sie mit den Hardlinern in der Behörde fertig werden, damit Ihre Entscheidungen nicht torpediert werden?

Mit Hardlinern habe ich noch nicht zu tun gehabt. Ich werde sehr darauf achten, daß wechselseitig Loyalität herrscht. Und wenn das nicht der Fall ist, dann werde ich mich darum schon kümmern. Aber man muß auch für seine Überzeugungen werben wie beim Beispiel Spritzentausch und auch Verständnis dafür aufbringen, daß manche mit dem Spritzentausch Probleme haben. Beamte, die sagen, ich halte diesen Konflikt nicht aus, einerseits Drogen abzunehmen und andererseits Spritzen auszugeben, nehme ich sehr ernst.

Als nicht so gewichtig sehe ich das Argument, daß man mit den Spritzen verletzt werden könnte. Aber wo ist das schon einmal vorgekommen? Im übrigen: Mit einer sauberen Spritze ist es weniger gefährlich als mit einer infizierten. Ich würde die Beamten selbst fragen, wie sie das denn gelöst wissen möchten.

In der Vergangenheit hat es immer wieder Zugeständnisse an die Behörden-Hardliner gegeben. Gehören Kniefälle vor den politischen Gegnern in der Behörde zu dem, was Sie unter Kompromißfähigkeit verstehen?

Mir sind solche Zugeständnisse nicht bekannt. Der Entscheidungsraum eines Senators ist allerdings vielfach vorgeprägt. Andere Interessen müssen dabei auch berücksichtigt werden. Als Wissenschaftler kann ich das Maximum fordern, aber nicht als Politiker. Deswegen wird meine Strategie sein, meine Entscheidungen zu begründen und auf diese Weise zu überzeugen.

Wo ist Ihre Kompromiß-Schmerzgrenze, zum Beispiel beim Strafvollzug?

Wenn es zum Beispiel nicht gelingen würde, das Drogenersatzprogramm fortzuführen. Das würde ich politisch nicht mittragen. Wenn es nicht gelingen würde, den schon aus gesundheitlichen Gesichtspunkten notwendigen Spritzentausch zu organisieren, dann würde ich sehr lange kämpfen. Sie werden mich nicht so schnell aufgeben sehen. Ich werde weiterbohren.

Irgendwann müssen Knackies wieder in „die wirkliche Welt“ entlassen werden. Wie sollte Resozialisierung aussehen?

Eine Resozialisierung ausgerechnet über den Strafvollzug ist sicher der ungünstigste Weg. Die Gesellschaft hat aber nur diesen einen Kompromiß vorgesehen. Ohne ein Höchstmaß an Sicherheit ist der politische Druck so groß, daß auch nach innen keine Liberalisierung mehr möglich sein wird. Deswegen ist es notwendig, die öffentliche Erwartung nach Schutz und Sicherheit zu erfüllen und innen ein Höchstmaß an Ähnlichkeit zwischen Gefängnis- und Normalleben zu gewährleisten. Im offenen Vollzug ist Hamburg führend.

Was wollen und können Sie für Abschiebehäftlinge tun? Darf bei Fluchtversuchen unter Ihrer Leitung geschossen werden?

Es wird bereits versucht, Abschiebehäftlinge räumlich von anderen Gefangenen zu trennen, um deutlich zu machen, daß sie nicht als Kriminelle behandelt werden. Das sind nur Notbehelfe, aber mehr ist unter den momentanen Bedingungen nicht zu leisten.

Was den Schußwaffengebrauch angeht, so ist es in Glasmoor einfach: Dort darf nicht geschossen werden. Rechtlich ist es in den anderen Anstalten möglich. Ich werde mir dieses Problem sehr genau ansehen und versuchen, dafür zu sorgen, daß keine Komplikationen entstehen. Fragen: Silke Mertins