„Verteidigung unmöglich“

■ Mutmaßliche „radikal“–Herausgeber bleiben in Haft / Anwältin fühlt sich als „Hampelfrau“ Von Marco Carini

Wie ein Top-Terrorist, flankiert von auf ihn gerichtete Maschinenpistolen, mit Hand- und Fußschellen gefesselt, die zeitweilig auch noch aneinandergekettet waren, wurde Andreas E. vor wenigen Tagen aus der Justizvollzugsanstalt Lübeck zum Haftprüfungstermin nach Hamburg gebracht.

Der Lübecker, der am 13. Juni im Rahmen der Großrazzia gegen linksradikale Gruppen verhaftet wurde, ist für die Karlsruher Bundesanwälte Mitglied einer „kriminellen Vereinigung“, ein Terrorist des Wortes. Er soll an der Erstellung der Zeitschrift „radikal“ mitgewirkt haben (bundesanwaltschaftliche Bezeichnung: „Untergrunddruckschrift“), die nach Ansicht der Ermittler militante Aktivitäten einzelner linksradikaler Gruppen sympathisierend unterstützt.

Der Haftprüfungstermin bestätigte die Ahnungen von Andreas E. und seiner Anwältin Gabriele Heinecke: Der Beschuldigte wird weiter hinter Gitter bleiben. Die Fortsetzung der Haft wird vor allem mit „Verdunklungsgefahr“ begründet; der Möglichkeit, daß Andreas E. in Freiheit Beweismaterial beiseite schaffen könnte. Da er sich bislang geweigert hat mit der Bundesstaatsanwaltschaft zusammenzuarbeiten, wird Andreas E. „eine grundlegend ablehnende Haltung gegenüber dem Staat“, der ihn gerade hinter Gitter gebracht hat, vorgeworfen und daraus die Bereitschaft zu „verdunkeln“ abgeleitet.

Voraussichtlich bis Mitte Dezember wird der mutmaßliche „radikal“-Mitarbeiter noch einsitzen. Erst nach einem halben Jahr, so deutete der zum Haftprüfungstermin eingeflogene Karlsruher Chefermittler Dr. Beyer an, werde sich „die Frage der Verhältnismäßigkeit“ der Haft verschärft stellen.

Die Vorwürfe der Bundesstaatsanwaltschaft fußen auf den zwei Leitz-Ordner umfassenden Abhörprotokollen eines im September 1993 nachrichtendienst-lich aufgezeichneten – angeblich konspirativen – Treffens von mutmaßlichen „radikal“-Mitarbeitern in der Eifel, an dem auch Andreas E. und Ralf M. (siehe nebenstehende Dokumentation) teilgenommen haben sollen. Einsicht in die Abhörprotokolle wurde der Anwältin Gabriele Heinecke erst am Tag der Haftprüfung gewährt.

Doch inzwischen berufen sich die Staatsanwälte bei ihren Beschuldigungen auf die Inhalte von Computer-Disketten, die im Rahmen der Groß-Razzia bei Andreas E. sichergestellt wurden. Die Einsicht in die Akten über die Disketteninhalte wird Gabi Heinecke verwehrt. „Eine vernünftige Verteidigung ist unmöglich, wenn ich nicht weiß, was meinem Mandaten da zur Last gelegt wird“, klagt die Anwältin, die sich in dem Verfahren „zur Hampelfrau“ degradiert fühlt. Das Recht auf Akteneinsicht würde so „aus den Angeln gehoben“.

Für die Juristin ist es ein Unding, „geschriebenes Wort so zu belangen“. Die Bundesstaatsanwälte hatten die radikal–HerausgeberInnen kurzerhand zur „kriminellen Vereinigung“ zum Zwecke der „Unterstützung terroristischer Vereinigungen“ erklärt. Kein Gericht habe aber je festgestellt, so Heinecke, daß es sich bei den Antiimperialistischen Zellen und beim K.O.M.I.T.E.E. tatsächlich um terroristische Vereinigungen handelt. Beide Gruppen soll die „radikal“ durch den Abdruck politischer Positionspapiere und Bekennerschreiben unterstützt haben.

Gabriele Heinecke ist deshalb sicher: „Dieses juristische Konstrukt wird zusammenbrechen“. Andreas E., Ralf M. und drei weitere Inhaftierte werden dann aber bereits Monate hinter Gittern verbracht haben.