Guter Nachkriegsdeutscher

■ Anmerkungen zum 90. Geburtstag von Max Schmeling Von Jan Feddersen

Die Glückwünsche hat er gestern alle nicht persönlich empfangen: Max Schmeling mochte seinen 90. Geburtstag nicht öffentlich feiern. Vielleicht wird ihm der Trubel auch zuviel gewesen sein: „Wenn man so alt wird, fallen einem manche Dinge nicht mehr so leicht“, sagte er aus gleichem Anlaß vor zehn Jahren. Die Gratulantenschar kannte am Donnerstag jedoch kein Erbarmen und lobte den Mann, der sich wünscht, noch 100 Jahre alt zu werden, fast zu Tode. Von Altbundeskanzler Helmut Schmidt („Er hat keine Starallüren“) bis zu Mike Tyson („Er hat immer klug geboxt“).

Was allen Ehrbezeugungen gemein ist, ist die lockere Ausblendung all dessen, was den Boxer erst zum Schwergewicht in deutscher Sache machte: Sein Mitlaufen bei allen Gelegenheiten, seine Fähigkeit, alle politischen Systeme zu ignorieren: „Was zählt im Leben, ist Freundschaft.“ Schmeling verkörpert die deutsche Musterbiographie des auslaufenden Jahrhunderts: Immer und doch nirgends dabei. Der Sportjournalist Horst Vetten traute sich vor Jahren als einer der wenigen, das Phänomen Schmeling kenntlich zu machen: Nach einem Treffen beschrieb er den Boxer als „gewissermaßen zum Kotzen perfekt“. Wie recht er hat, zeigt ein Blick auf das Leben des Max Schmeling: 1905 in Pommern geboren als Sohn von „kleinen Leuten“ (so der Jubilar), wuchs er in Hamburg auf. Er versuchte als Fußballer Karriere zu machen – als Torwart beim FC St. Georg.

Doch das Boxen versprach ihm mehr Spaß: Fußball war noch zu unglamourös, zu sehr behaftet mit dem Ruch des Proletenhaften – und genau aus diesem Milieu wollte Schmeling heraus. Boxen war während der Weimarer Republik sehr modern. Verboten noch bis zum Ende der Kaiserzeit, galt der Faustkampf selbst linken Intellektuellen wie Bertolt Brecht als echte, faire Art der Auseinandersetzung: Mann gegen Mann, ohne Barrikade dazwischen.

Für diese Anmutung war Max Schmeling genau der passende Kämpfer: Proll, aber aufstiegsbewußt, neugierig, also nicht durch sonderlich viele Minderwertigkeitsgefühle als Kind der Arbeiterklasse geschlagen, munter, also nicht devot, kamerabewußt und lustig. Schmeling war längst eine Figur des öffentlichen Lebens, als die Nazis 1933 an die Macht kamen. Nun war er nicht so zu vereinnahmen wie andere Sportler: Völkischer Geist war seine Sache nicht ausdrücklich. Wahrscheinlich wollte er sich von den Nazis nur seine besten Jahre nicht verderben lassen.

Die Verfolgung von Juden will er nicht mitbekommen haben. Als die Nazis ihm die Trennung von seinem jüdischen Manager nahelegten, suchte Schmeling das Gespräch mit dem Führer und erreichte auch, in der von ihm geliebten Heimat bleiben zu dürfen – Deutscher durch und durch, der er war und ist. „Anständig, sauber und immer auf dem Teppich bleiben“, erzählte der Jubilar einmal, das sei sein Credo. Daß der Radiokommentator seinen Gegner Joe Louis stets als „Neger“ titulierte, will er nicht gehört haben: „Nach dem Krieg wurden wir Freunde fürs Leben. Das konnte doch nicht angehen, daß Gegner Feinde werden.“ Nach 1945 tingelte er durchs Land – als Boxer, Ringrichter, schließlich als Vertriebsleiter von Coca Cola. Was die Vergangenheit anbetraf, hat er nie etwas wie Bewältigung probiert: „Schicksal“ ist seine Lieblingsvokabel, spricht man ihn aufs Tausendjährige Reich an.

Was alle Ehrungen gerne verschweigen, ist, daß Schmeling sehr wohl umstritten war. Im Aufbau, der jüdischen Emigrantenzeitschrift in New York, steht am 22. Juni 1945 als Kritik auf den Vorschlag, Schmeling mit der Re-Edukation der deutschen Kinder zu betrauen: „Max Schmeling als Erzieher! Findet sich in Deutschland niemand, der den SS-Mann Schmeling dahin steckt, wo er hingehört: ins Gefängnis?“ Davon abgesehen, daß der Boxer nie Mitglied der NSDAP war oder zur SS gehörte, steckte dahinter wohl auch der Frust über einen, der alle Annehmlichkeiten des Lebens mitgemacht hat und dennoch gut ins Wirtschaftswunderreich segelte.

Schmeling lebt heute in Hollenstedt bei Hamburg. Der muntere Greis gibt keinen Anlaß zur Mäkelei: Er ist bei allen karitativen Geschichten dabei, die nicht allzu politisch sind. Er liebt die Jagd und lange Spaziergänge. Er ist ein – in der Tat – sympathischer Mann. Einer mit Nachkriegstreue, der erst nach 1945 lernen mußte, daß zur Demokratie der Ausgleich ebenso gehört wie der Scheinwerfer zum Dasein als Star. Schmeling – das ist ein Vorbild für die Nachkriegsjungs gewesen, die immer nur gelernt haben, Konflikte militärisch zu lösen: Der Faustkämpfer lehrte sie, die Faust nur im Ring zu nutzen. Man müßte ihn dazu nur befragen: Er würde antworten. Noch hat niemand Interesse an einem, der mitlief und dennoch kein Schwein wurde.