EU-Kommission noch einmal davongekommen

■ Nur mit knapper Mehrheit lehnt das Europaparlament die Abwahl der Kommissare ab. Bundeskanzler Schröder freut sich, daß EU-Exekutive handlungsfähig bleibt. Ihr Chef Santer kündigt Reformen und Aufklärung der Korruptionsvorwürfe bis März an

Straßburg/Berlin (dpa/rtr/taz) – Die Europäische Kommission bleibt im Amt. Das Europaparlament in Straßburg lehnte gestern mit knapper Mehrheit einen Mißtrauensantrag gegen die Kommission ab. Nur 293 von 552 anwesenden Abgeordneten stimmten gegen den Antrag, 232 Parlamentarier waren für die Entlassung der Kommission wegen Mißwirtschaft und Korruption. 27 Abgeordnete enthielten sich der Stimme, und 70 erschienen gar nicht erst. Die Kommission bleibt dennoch unter Druck. Die Parlamentarier haben ihr aufgetragen, bis Mitte März die Betrugsvorwürfe aufzuklären.

Zufrieden über den Ausgang der Abstimmung waren vor allem Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein konservativer spanischer Kollege José Maria Aznar. Schröder betonte gestern erneut das deutsche Interesse an einer handlungsfähigen Kommission. Immerhin hat Deutschland gegenwärtig die Ratspräsidentschaft der EU inne und wäre ohne eine eingearbeitete Kommission kaum in der Lage, europäische Politik zu betreiben. Spanien hatte schon aus nationalem Eigennutz kein Interesse an dem Mißtrauensvotum, ist doch einer der kritisierten Kommissare Spanier. Die 70 konservativen spanischen Abgeordneten im EU-Parlament haben daher geschlossen gegen den Antrag gestimmt. Kommissionspräsident Jacques Santer bedankte sich dafür direkt nach der Abstimmung bei Aznar.

Santer sicherte dem Parlament jedoch auch eine bessere Betrugsbekämpfung zu. „Jeder Betrugsfall tut mir weh.“ Deshalb werde die EU-Kommission innerhalb kürzester Frist ihr Reformprogramm umsetzen und damit wichtigen Forderungen des Parlaments nachkommen, sagte er unmittelbar vor der Abstimmung. Zuvor hatte eine deutliche Mehrheit der Parlamentarier Rücktrittsforderungen an die Kommissare Edith Cresson und Manuel Marin abgelehnt. Dies hatten Christdemokraten, Liberale und Grüne in einer gemeinsamen Resolution verlangt. Die EU-Kommission müsse auch einzelne Kommissare entlassen können. Das Parlament will außerdem einen Expertenausschuß zur Untersuchung aller Vorwürfe über Betrug und Günstlingswirtschaft. Auch die Praktiken bei der Auftragsvergabe sollen geprüft werden. Der „Rat der Weisen“ unter Federführung des Parlaments und der Kommission muß bis zum 15. März einen Bericht vorlegen.

Parlamentspräsident José-Maria Gil- Robles betonte, der EU-Kommission sei „keine Absolution“ erteilt worden. Durch die Einrichtung eines „Rates der Weisen“ sei ein Prüfmechanismus geschaffen worden. Die britische Sozialistin und Fraktionschefin Pauline Green sagte, unter dem Druck des Mißtrauensvotums habe das Parlament „die weitreichendsten Reformen in der EU-Kommission bewirkt“. Vertreter von Christdemokraten, Liberalen und Grünen bezeichneten den Expertenausschuß als „Katastrophe“, weil das Parlament damit eigene Kontrollbefugnisse abgebe. ufo Tagesthema Seite 3

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