Im Gedächtnis des Flusses kramen

Rund 700.000 Kubikmeter giftiger Schlick werden jährlich aus dem Hamburger Hafen gebuddelt. Noch immer hat der Senat nicht entschieden, was er damit anfangen will  ■ Von Gernot Knödler

Cadmium, Arsen, Quecksilber, Hexachlorbenzol, Mono-, Di- und Tributylzinn – auf ihrem 1165 Kilomenter langen Weg schwemmt die Elbe einen unappetitlichen Chemiekalien-Cocktail nach Hamburg. Gemischt mit viel Sand und Schlick macht der den Hafen unpassierbar: Zwei Millionen Kubikmeter davon müssen jährlich herausgebaggert werden; und das Zeug ist so giftig, daß es nicht ohne weiteres an anderer Stelle zurück in den Strom geschüttet werden kann.

Wohin also mit dem Baggergut aus dem Hamburger Hafen? Bis Juni vergangenen Jahres, so hatten es SPD und GAL in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, sollte der Senat ein Konzept vorlegen. Die Behörden arbeiten immer noch daran. Nach jetzigem Stand werde sich der Senat „nicht vor Ende März“ mit dem Thema befassen, prognostiziert Heinz-H. Kosak, Sprecher des Amtes für Strom und Hafenbau.

Der Senat tut sich schwer, einen Platz für das Baggergut zu finden: Auf die Schlickhügel in Feldhofe und Francop paßt nur noch der Schlick der nächsten 10 bis 20 Jahre; ob er irgendwo zu Backsteinen verarbeitet werden kann, wird noch geprüft. Gegen eine Deponie in Bovenau bei Rendsburg gibt es Widerstand der AnwohnerInnen und mit einem Verwertungsverfahren, das Schleswig-Holstein hat entwickeln lassen, Probleme. Und den Schlick in Salzkavernen bei Stade unterzubringen ist wahrscheinlich zu teuer.

Je mehr Wasser die Elbe führt, desto giftiger ist das Baggergut. Denn die Chemikalien setzen sich an den Schwebstoffen im Wasser fest. Dort finden sie mehr Halt als an den runden Sandkörnern. Führt die Elbe viel Wasser, bringt sie auch viele Schwebstoffe mit. Bei Niedrigwasser schwemmt die Flut im Verhältnis zu den Schwebstoffen mehr unbelasteten Sand aus der Nordsee in den Hafen. Die Leute von Strom und Hafenbau nutzen das aus, indem sie schwach belastete Sedimente einfach der Strömung zurückgeben – für Ulrich Hensen, Leiter des Amtes für Strom- und Hafenbau, ist das eine günstige und naturverträgliche Methode, das Baggergut loszuwerden. Auch Paul Schmid vom Hamburger Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) hält das Umlagern für besser, als Schlickhügel in die Landschaft zu setzen. Allerdings dürften bestimmte „Belastungsgrenzen nicht überschritten werden“.

Eine halbe Million von den jährlich insgesamt zwei Millionen Kubikmetern Baggergut werden nach Auskunft Hensens wieder in den Strom gekippt. Rund 100.000 Kubikmeter landen auf Entwässerungsfeldern in Moorburg und Finkenwerder und 1,4 Millionen Kubikmeter kommen in die „Metha“: Die Anlage zur „mechanischen Trennung von Hafensedimenten“ schafft es, auch den allerfeinsten Schlick aus dem Sand zu sortieren. Das nötigt Fachkreisen zwar Respekt ab, läßt aber immer noch 700.000 Kubikmeter giftiges Sediment übrig.

Diesem Rest verdankt Hamburg zwei gerade entstehende Naherholungsgebiete: die Schlickhügel Francop und Feldhofe mit jeweils 38 Metern Gipfelhöhe – außen begrünt, innen Deponie. Wenn die Hügel so hoch sind, daß nichts mehr aufgeschüttet werden kann, sollen sie der Allgemeinheit zur Verfügung stehen und den HamburgerInnen einen Panorama-Blick auf die Stadt und das Marschland eröffnen.

Versuchsweise erzeugt jetzt die private „Hanseaten-Stein Ziegelei“ (HZG) Backsteine aus dem giftigen Schlamm. 20 Millionen Mark hat die Pilotanlage gekostet, aus etwa 30.000 Tonnen Metha-Schlick kann sie im Jahr fünf Millionen Steine herstellen. Die Schadstoffe werden beim Backen verbrannt, in Filtern aufgefangen oder in die chemische Struktur des Tons eingekapselt. Ob die Ziegel üblichen Qualitätsanforderungen gerecht werden und bei der Kundschaft ankommen, muß sich noch erweisen.

Hamburgs Problem löst sich auch nicht dadurch, daß Niedersachsen und Schleswig-Holstein je zwei Millionen Tonnen des Schlicks übernehmen wollen. Eine Lagerung in Salzkavernen der Firma Dow Chemical bei Stade, wie sie das Niedersächsische Elbschlickforum als beste Lösung vorgeschlagen hatte, ist Hamburg dem Vernehmen nach zu teuer. 300 Mark pro Kubikmeter werden als Preis gehandelt. „Wer sagt denn sowas!“, protestiert Hartwig Donner, der das Forum aus Vertretern von Bürgerinitiativen, Kommunen und Verbänden moderierte. Dort sei ein Kubikmeterkpreis um 50 Mark ermittelt worden.

Auch Schleswig-Holstein hat zusammen mit einer Privatfirma an einer Verwertungs-Technik gearbeitet. „Die Planung ist fertig“, sagt Gerhard Reichert, Geschäftsfüherer der inzwischen in Konkurs gegangenen Firma „Balticon“. Er will das Baggergut so lange sortieren und waschen, bis „98 Prozent als giftfreie und gefragte Baustoffe übrig bleiben“. Für dieses Verfahren verlangt er 40 Mark pro Kubikmeter Baggergut. Soviel, erklärt er, nehme „jede heute vorhandene Deponie“ auch. 70 Millionen Mark würde seine Anlage bei einer Kapazität von 1,2 Millionen Kubikmetern im Jahr kosten. Ein Geldgeber stehe bereit, wolle aber ein bestimmtes Auftragsvolumen garantiert haben.

Die Schleswig-Holsteinischen Grünen haben zwar starkes Interesse an Reicherts Anlage. „Das Konzept an sich ist bestechend“, sagt ihr Vorstandssprecher Sven-Peter Swane. Die Rechtslage, finanzielle Gründe und die offene Frage, ob es tatsächlich einen Markt für Baustoffe aus der Anlage geben könne, machten es aber schwierig, sich für diese Lösung zu entscheiden. Der grüne Umweltminister Rainder Steenblock hat einstweilen gegen Balticon klagen lassen, weil die Firma 2,7 Millionen Mark Fördergeld nicht wie verabredet ausgegeben habe.

Das Elbschlick-Forum bewertete Reicherts Verfahren 1994 kritisch. Nach Angaben von Donners Mitarbeiter Henning Zühlsdorff zweifelte das Gremium daran, daß die angegebenen Mengen verarbeitet werden könnten und hielt den Preis von 40 Mark für unrealistisch.

Bleibt für Hamburg die Möglichkeit, durch Strombauwerke die Sedimentation von vornherein einzuschränken und darauf zu hoffen, daß die Elbe noch sauberer wird, als sie es seit der Wende schon geworden ist. Die Elbanrainer-Länder haben sich nach Auskunft von Hafenbaudirektor Hensen das Ziel gesetzt, das Baggergut spätestens 2010 für andere Zwecke verwenden zu können. Doch allen Anstrengungen zum Trotz bleiben die Sünden der Vergangenheit zu büßen: Tief unten im Hafenbecken lagert altes, giftiges Sediment. „Es gibt ein Gedächtnis des Flusses“, warnt der Hafenbaudirektor.