Gebändigte Kindheit im „Album des Lächelns“

■ Von 1928 bis heute entstanden rund eine Million Fotos in Budapests berühmtestem Fotoatelier. Im Haus Ungarn zeigt nun das Ungarische Fotomuseum Kecskemét eine Auswahl

1928 kam József Grósz nach Budapest. Im XIII. Bezirk mietete er sich eine Wohnung mit Bad, in dem er eine Dunkelkammer einrichtete. Anschließend ließ er seine neue Firma mit dem Namen „Album des Lächelns“ im Handelsregister eintragen. Als Geschäftszweck gab er „Kinderfotografie“ an.

Da József Grósz ein geschickter Fotograf war und seine Bilder durch eine exzellente Laborarbeit bestachen, nahm sein Geschäft rasch Aufschwung, und das „Album des Lächelns“ wurde nicht nur in der Hauptstadt, sondern in ganz Ungarn ein Begriff. Vor allem die Unterschicht und die Mittelklasse ließen dort ihre Kinder fotografieren. So kam es, daß hier durchschnittlich 30 Porträts am Tag entstanden, 200 pro Woche, 1.000 im Monat, also annähernd eine Million Kinderfotos in rund 70 Jahren. Denn noch heute ist am Marx-Platz Nr.6 „Mosoly Albuma“ zu lesen. József Grósz freilich starb schon in den 40er Jahren, und das Atelier, das seine Frau und die Mitarbeiter fortführten, wurde 1951 verstaatlicht.

Das Ungarische Fotomuseum Kecskemét stellt nun eine Auswahl aus dem „Album des Lächelns“ im Haus Ungarn vor. Auch die Kuratorin der Ausstellung, Dr. Magdolna Kolta, ist eines in der endlosen Reihe lächelnder Kinder. Nämlich das – natürlich – lächelnde Mädchen unter der Jahreszahl 1962. So stereotyp diese Atelierfotografie daherkommt, gewisse Veränderungen sind nicht zu übersehen, wenn man die – ab 1978 auch in Farbe – fotografierten Kinder genauer anschaut.

Anders als Erwachsene benötigen Kinder kein fotografisches Porträt, da sie weder einen Personalausweis besitzen noch Bewerbungsschreiben mit einem möglichst gewinnenden Foto versehen müssen. Insofern das Kind ganz alleine und verwaist auf der Fotografie erscheint, hat sein Foto etwas von einem Starporträt. Das Kind als Kind ist das Kind als Juwel: Unser Martin. Es ist das Juwel, dem das Foto aus dem Atelier des Fotografen die entsprechende aufwendige Fassung verleiht.

Doch leider tut diese Fassung, also die Inszenierung, alles, um die individuelle Persönlichkeit des Kindes wieder zum Verschwinden zu bringen. Dazu dienen zunächst die immer gleichen Requisiten, Spielzeugtiere für die Kleinen oder der Abakus für die Größeren, also die überdimensionierte Rechentafel, die auf den Beruf des Schülers verweist. Dieses Requisit vor allem hält sich erstaunlicherweise bis in die 70er Jahre.

In den 80er Jahren gibt es dann einen deutlichen Bruch. Nun posieren drei Brüder als Boys Group, oder ein 10jähriges Mädchen zeigt sich als reizende Bikinischönheit. Hier wird das Vorbild Starschnitt endgültig deutlich. Die Popkultur hat auch Ungarn erreicht. Bis dahin ließen sich die Bilder noch mit Walter Benjamins Beobachtungen zur Kinderfotografie in Einklang bringen. Zwar gab es den „Salontiroler, jodelnd, den Hut gegen gepinselte Firnen schwingend“, 1928 schon nicht mehr, doch der adrette Matrose, „Standbein und Spielbein, wie es sich gehört, gegen einen polierten Pfosten gelehnt“, hielt sich noch bis in die 60er Jahre.

In der Atelierfotografie erscheint Kindheit als ein zeitloses Muster. Durch alle Zeitläufte hindurch, ob es die 30er Jahre und das Horthy-Regime waren, der Zweite Weltkrieg und die deutsche Besatzung, der Oktoberaufstand 1956 oder die Ära des Gulaschkommunismus, immer lächeln die Kinder in gleicher kindlich-unschuldiger Manier in die Kamera. Diese lächelnde Unschuld wurde im Haus Ungarn nun um eine zweite Reihe von ganz unterschiedlichen Momentaufnahmen verschiedener Fotografen ergänzt. Sie geben die zeithistorische Orientierung, die im „Mosoly Albuma“ zwangsläufig verlorengeht. Brigitte Werneburg

Bis 26.2., werktags 10 bis 18 Uhr, Karl-Liebknecht-Str.9