Sachfragen und Schulterzucken

■ In Prenzlauer Berg tendierte die SPD-Parteibasis bei der Urwahl ihres Spitzenkandidaten eindeutig zu Momper. Im Wedding war sie uneinig. Eines einte Ost und West: Das Bier nach der Stimmabgabe

Um 11.30 Uhr ist die Luft schon rauchgeschwängert. An der Theke sitzen ein paar müde Gesichter, zischen ein Bier und schweigen vor sich hin. Im hinteren Zimmer der Eckneipe „Valentina“ in der Immanuelkirchstraße in Prenzlauer Berg ist ein bißchen mehr los. Auch hier steht auf dem einen oder anderen Tisch bereits ein Bierchen. Doch die Herren (und einige Damen), die hier sitzen, haben eine gewichtigen Auftrag: Sie warten auf die SPD-Mitglieder des Stadtbezirks, die heute ihre Stimmen abgeben sollen, für Walter Momper oder Klaus Böger. 320 sind es, die kommen könnten, um 12 Uhr sind es erst 40. 70 Prozent der Mitglieder in dem Ostbezirk sind Männer.

Die Stimmung in der Kneipe ist eindeutig pro Momper. „Ich habe Momper gewählt, weil er für lange Zeit aus der Politik raus war“, sagt SPD-Mitglied Michael Polanke. Er könne die Sachfragen dadurch realistischer einschätzen. Welche Sachfragen das denn seien? Da zuckt der wissenschaftliche Mitarbeiter mit dem Schultern: „Auf jeden Fall hat der Momper ein klares sozialdemokratisches Profil“, sagt er und ballt dabei kämpferisch die Faust.

Ähnlich sieht es Uwe Leip. Der 44jährige, der seit 1989 in der SPD ist, glaubt, daß Momper frischen Wind in die politische Führungsriege bringen könne: „Das hat ihm gutgetan, daß er ein paar Jahre draußen war.“ Leip hat sich ganz spontan für den Mann mit dem roten Schal entschieden: Auf einer Wahlveranstaltung im Cinemaxx in der Schönhauser Allee habe Momper eindeutig die „besseren Antworten“ gegeben. Obwohl Böger und Momper sich inhaltlich nicht unterscheiden, betont Leip. „Ich wähle ihn ein bißchen aus dem Bauch heraus“, sagt er und zuckt etwas ratlos mit den Schultern.

Nur einer möchte sich nicht auf seinen Wahlzettel sehen lassen: Wolfgang Thierse. Der Bundestagspräsident stiefelt um fünf vor zwölf ins Wahllokal, kreuzt sein Zettelchen hinter der provisorischen roten Pappwand an und widmet sich dann flugs seinem erstem Bier. Nur eine winzige Prognose kann man ihm entlocken: „Ich glaube, daß Böger knapp gewinnt.“

Im Wedding ist ein bißchen mehr los. Statt einer Eckkneipe hat die SPD hier den Saal der Bezirksverordnetenversammlung gemietet, immerhin gibt es im ehemals roten Wedding noch 1.103 Mitglieder. Es gibt Bier, Bockwurst, Schnitzel und richtige Wahlkabinen aus grauem Plastik. Viele der SPDlerinnen haben sich zur Urwahl herausgeputzt, erscheinen in Schlips und Jackett. Eine Atmosphäre wie auf einer großen Familienfeier. Plaudernd stehen sie nach dem Wahlgang herum, schütteln die Hände anderer Genossen und geben Prognosen ab: Walter, Klaus, Walter, Klaus. „Im Wedding wird queerbeet gewählt“, sagt der Kreisvorsitzende Ralf Wieland.

Auch Jens Freitag hat sich heute für seine Genossen extra schick gemacht hat, wie er sagt. Der Azubi, der für die BVV kandidieren will, hat Böger gewählt: „Er ist zuverlässiger, nur mit ihm kann die SPD die Wahl gewinnen“, sagt der 20jährige. Er befürchtet, daß Momper mit der PDS zusammen regieren wolle, obwohl er sich jetzt noch dagegen ausgesprochen hat. Auch Dirk Zimmer glaubt, daß nur Böger in der Lage ist, die Stadt zu verwalten: „Bei Fragen zur Innovationsförderung kann Walter nie klare Antworten geben“, sagt der 33jährige Student. Doch es gibt auch Momper-Fans, wie die 78jährige Margarete Abelt: Der tut noch was für die Arbeiter, glaubt sie. Einem ist die Wahl mittlerweile total egal. Werner, wie er sich nennt, ist schon beim fünften Bier: Ob Momper oder Böger gewinnt, lallt er, sei doch egal. Beide hätten das Zeug zum Bürgermeister. Warum, kann Werner aber nicht sagen. Julia Naumann