Für den Tante-Emma-Laden bleibt kein Pfennig

■ Das Berliner Stadtforum tagte zum Thema „Konsumverhalten in der Großstadt“. Projektentwickler lobte die Erlebnismalls, Einzelhändler beklagen den Trend zum Discounter

„Muß die Alternative zu einer über Jahrzehnte gewachsenen Einkaufsstraße wirklich in Wildau, Dallgow oder Eiche liegen?“, so fragte das Berliner Stadtforum am vergangenen Freitag abend. Urban Entertainment, Shopping Malls oder Einkaufszentren auf der grünen Wiese – so heißen die Stichworte des neuen Trends. Die neue Shopping Mall in Belfast sieht dabei den Potsdamer Platz Arkaden zum Verwechseln ähnlich, und hinter klingenden Namen wie „Heinrich Heine Forum“ verbergen sich Modeboutique, Biertresen und Aldi nebst Rolltreppe.

„Die Berliner gehen erstmals in die Stadt und machen sich fein“, beschwor Stadtwicklungssenator Peter Strieder (SPD) eingangs fast trotzig den Erfolg des Potsdamer Platzes. Doch Julian Wékel, Abteilungsleiter in Strieders Verwaltung, räumte ein, daß es nur begrenzt gelungen sei, Einfluß auf die neuen Handelsstrukturen auszuüben: weder Parzellengliederung noch Kleinteiligkeit oder neue öffentliche Räume seien entstanden.

Ina Merkel vom Institut für europäische Ethnologie wies darauf hin, daß „Konsum statt Arbeit“ die falsche Perspektive sei. Die Reduktion der öffentlichen Stadt auf bloße Konsumtion rufe letzten Endes eine tiefe innere Unzufriedenheit beim Verbraucher hervor. Düster auch der Ausblick des Architekten und Journalisten Robert Frank: „Die Stadt wird zur Shopping Mall mit Bahnanschluß, Baumallee und Security Guards.“ Malls zentrierten das Leben und ließen rechts und links unbelebte Stadt zurück – zumal nach 20 Uhr, wenn die Mall schließt.

Auch Willi Pfaffenhausen von der MDC Multi Development Deutschland GmbH meinte, es nutze nichts, „eine geschlossene Burg in die Nähe einer Fußgängerzone zu stellen“. Er stellte das MDC-Konzept vor, wonach bei der Gestaltung eines neuen Zentrums das Umfeld, öffentliche Räume, Integration sozialer und kultureller Funktionen, offene Bauweise, vielfältige Nutzungsbeziehungen berücksichtigt werden müssen. Projektbeiräte und ein „Kooperationsvertrag“ sollen für Verbindlichkeit sorgen. Doch das vorbildliche Modell wurde zumindest in Berlin bisher nie realisiert.

Pfaffenhausens Kollege Josef Schüller von der Konkurrenz ECE sorgte für Heiterkeit, als er das Forum zur Werbung für das ECE- Projekt Leipziger Hauptbahnhof nutzte – seit seinem Umbau auch „Warenhaus mit Gleisanschluß“ genannt. Mit bunten Dias warb er für die „gelungene Installation eines Marktplatzes“ und lobte die „animative Einbindung der Menschen“: Kati Witt, Bauchtanz oder eine „Leistungsschau Sicherheit“ zögen täglich 100.000 Menschen an.

Nüchtern Bilanz hingegen zog Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Berliner Einzelhandelverbandes: stetig sinkende Umsätze, Monopolisierung (96 Prozent des Lebensmitteleinzelhandels sind inzwischen von nur 30 Gruppen beherrscht), rasantes Flächenwachstum. 70 Prozent der Händler profilieren sich nur über einen gnadenlosen Preiswettbewerb. Busch-Petersen illusionslos: Der Trend gehe zu Discountern, weil sich der Kunde nun mal entschieden habe, „für den sozialen Faktor Tante-Emma-Laden nicht mehr Pfennige hinzulegen“ – und hinterher in Stadtteilkonferenzen frage, wo jene Läden hin seien. Ulrike Steglich