Ein Fall unter vielen: Der Mord an Eduardo Paredes

■ Die in Schweden lebenden Hinterbliebenen des getöteten Chefs der Sicherheitspolizei Allendes haben Anzeigen gegen Pinochet gestellt. Jetzt sind sie in London, um Druck zu machen

Stockholm (taz) – Raymond und Nicolas mußten nicht lange überlegen. Einige Tage nach der Nachricht, daß Chiles Ex-Diktator Augusto Pinochet in London aufgrund eines Auslieferungsbegehrens eines spanischen Gerichts festgenommen worden war, gingen sie zu einem Stockholmer Polizeirevier. Dort stellten sie Strafanzeige gegen Pinochet wegen der Ermordung ihres Vaters Eduardo Paredes. Es ist nur eine von den 200 Strafanzeigen, die mittlerweile allein von in Schweden lebenden ChilenInnen gestellt wurden, aber vielleicht eine, die für Pinochet besonders gefährlich werden kann. Denn der Mord ist bis in alle grausamen Einzelheiten dokumentiert.

Eva Ahlgren, die Mutter von Raymond und Nicolas, ist jetzt 51 Jahre alt. Sie war gerade 17, als sie in Stockholm einen jungen chilenischen Arzt kennenlernte, sich verliebte und einen Tag nach der Hochzeit mit ihm das Flugzeug nach Chile nahm und sich in Santiago niederließ. Das war 1965. Ihr Mann Eduardo Paredes, „Coco“ genannt, war Mitglied der Sozialistischen Partei Chiles und Freund eines anderen Arztes: Salvador Allende, der auch Patenonkel für den 1967 geborenen Raymond und vier Jahre später für Nicolas wurde. Da war Allende bereits chilenischer Präsident.

Eduardo „Coco“ Paredes gehörte schnell zum engsten Beraterkreis Allendes und avancierte zum Chef der Sicherheitspolizei. Es war die Zeit der Anschläge der Rechtsextremisten, die versuchten, einen Staatsstreich des Militärs gegen Allende zu provozieren. „Coco“ selbst wurde zum Ziel verschiedener Attentatsversuche, was ihn nur in seinem harten Durchgreifen gegen den rechten Terror bestärkte und ihn wiederum zu dessen erstrangigem Haßobjekt machte.

Das letzte Lebenszeichen von ihrem Ehemann war für Eva Ahlgren ein Telefonanruf am historischen 11. September 1973, als schon die Jagdbomber der Luftwaffe den Präsidentenpalast bombardierten. Er hatte noch Hoffnung, so erinnert sich seine Witwe, daß loyale Truppen zur Verteidigung Allendes anrücken würden und sie aus der von Panzern und Militär umzingelten „La Moneda“ befreien würden. Drei Wochen nach dem Staatsstreich flüchtete Eva mit ihren beiden Söhnen nach Mexiko. 1975, als ihr endgültig klarwurde, daß ein Ende der Diktatur in Chile nicht nahe bevorstand, kehrte sie mit den Kindern nach Schweden zurück und versuchte, ein neues Leben zu beginnen. Es gab Gerüchte, ihr Mann sei von Pinochets Militär getötet worden, doch die Junta weigerte sich, dies offiziell einzugestehen.

Die Ungewißheit sollte 22 Jahre dauern. Vor drei Jahren erhielt Eva Ahlgren in ihrer Wohnung in Stockholm einen Anruf aus Chile. Das rechtsmedizinische Institut der Universität Santiago hatte die Reste eines menschlichen Körpers identifiziert, der zwei Jahre vorher in einem Massengrab gefunden worden war. Es war ihr Mann. Zusammen mit ihren Söhnen flog Eva nach Chile. Sie wollte den Toten noch einmal sehen und hoffte, damit ein Kapitel abschließen zu können, Schluß mit den Alpträumen zu machen, die sie 22 Jahre lang fast jede Nacht verfolgt hatten.

Es wurde ein brutaler Schock. „Coco“ war auf unvorstellbar bestialische Art gequält und getötet worden. An Paredes Körper war bei der Obduktion kaum ein heiler Knochen gefunden worden. Finger, Handgelenke, Ober- und Unterschenkel waren gebrochen worden, ebenso alle 22 Rippen. Schläge mit Gewehrkolben hatten seinen Schädel zersplittert. Offenbar war ein Flammenwerfer auf ihn abgefeuert worden, als er noch am Leben war. Achsel, Arme, Hände, Schädel und Zähne wiesen umfassende Verbrennungen auf. Nach allen Folterungen war er aus nächster Nähe mit 17 Schüssen getötet worden. „Ich hätte es ja noch verstanden“, so „Cocos“ Sohn Raymond in einem Gespräch mit der stockholmer Zeitung Dagens Nyheter, „wenn man ihn mit einem Genickschuß getötet hätte. So etwas geschieht ja im Krieg. Aber das ist ein sadistischer, bestialischer Mord, der wohl unter Pinochet ins System gesetzt wurde.“

„Wir fordern Gerechtigkeit“, so Raymond weiter, „es muß international festgestellt werden, daß Pinochet ein Massenmörder in der Qualität eines Hitler, Idi Amin und Pol-Pot ist. Heute gibt es so eine internationale Anerkennung noch nicht. Man schaue sich nur Margret Thatcher an, die ihn zum Tee einlädt, oder alle die Regierungen, auch die schwedische, die mäuschenstill sind.“

Unzufrieden ist Raymond nicht nur mit dem mangelnden Engagements Stockholms, sondern auch mit der Behandlung seiner und aller anderen Strafanzeigen gegen Pinochet durch den schwedischen Oberstaatsanwalt. Er will sie nämlich nicht bearbeiten und auch kein Auslieferungsbegehren an London richten, solange dort noch keine endgültige Entscheidung getroffen wurde. Am Wochenende sind Eva Ahlgren und ihre Söhne nach London geflogen. Mit allen Beweisen, dem Obduktionsprotokoll und einer langen Liste von Zeugen. Sie wollen Einfluß nehmen auf die neue Verhandlung über die Auslieferung des Mannes, den sie für den Tod ihres Ehemanns und Vaters verantwortlich machen. Reinhard Wolff