Öcalan mit unbekanntem Ziel verreist

Der ungebliebte Kurdenführer verläßt Italien wieder – doch wohin, ist ein Staatsgeheimnis. Die Regierung klopft sich auf die Schultern. Bleiben wird allerdings ein Riß im Verhältnis zwischen Rom und Bonn  ■ Aus Rom Werner Raith

Wie Honigkuchenmännlein strahlen sie derzeit, Italiens Regierende: Endlich sind sie ihn los, den „Ballast Öcalan“ (La Repubblica): Bei Nacht und Nebel ist er am Wochenende aus seiner Residenz bei Rom verschwunden. Kein Jounralist war präsent, auch die bei seiner Einreise im November 1998 mit ihm angekommenen „politischen Freunde“ waren offenbar nicht dabei, als er loszog. Doch wohin der ungeliebte, trotz alledem von der Mehrheit der Politiker als „Freund“ umworbene Chef der kurdischen Arbeiterpartei PKK gereist ist, galt gestern noch als Staatsgeheimnis. Moskau, wohin sich die meisten Augen richten, bestätigte rein gar nichts. Und die PKK selbst versichert nur, er sei „wohlbehalten an seinem Bestimmungsort angekommen“.

Mit der Ausreise Abdullah Öcalans nimmt ein Fall sein vorläufiges Ende, der halb Europa gespalten und schwere internationale Verstimmungen herausbeschworen hatte. Eingereist war Öcalan mit einem falschen Paß – begleitet jedoch von einem echten Abgeordneten des italienischen Parlaments. Statt ihn bei der Ankunft wieder abzuschieben, wurde er festgenommen – in der sicheren Annahme, das halbe Dutzend Staaten, in denen angeblich internationale Haftbefehle gegen ihn vorlagen, werde sich um ihn reißen. Gleichzeitig war klar, daß er an ein Land bestimmt nicht ausgeliefert würde – die Türkei, denn dort droht ihm die Todesstrafe.

Doch als die Staatsanwälte die verschiedenen Länder, die suchten, von der Festnahme informierten und auf dickes Lob hofften, fand plötzlich kaum mehr jemand den internationalen Haftbefehl, den er angeblich ausgestellt hatte. Nur die Deutschen standen zunächst zu ihrem Mandat – juristisch. Politisch aber machte Neukanzler Gerhard Schröder mit Außenminister Joschka Fischer klaren Tisch: Die Regierung werde den Mann nicht nach Deutschland holen – aus Gründen des sozialen, politischen und juristischen Friedens: Man wolle, so das Außenamt, weder einen kurdischen Terrorismus provozieren noch das gespannte Verhältnis zur Türkei belasten.

So mußten die Italiener Öcalan behalten. Doch da dieser just in Italien keinerlei Vergehen – außer der Benutzung eines gefälschten Passes – angeklagt werden konnte, ließen ihn die Richter zuerst unter Auflagen, danach ganz frei. Allerdings bemühte sich Italiens Dimplomatie seither eifrig, ein Land zu finden, das den politischen Sprengsatz beherbergen könnte. Nord- Korea wurde genannt, Kuba, und natürlich Rußland, das Land, aus dem er wohl eingereist war.

Ministerpräsident D'Alema klopft sich nun auf die Schulter: Italien habe „in großer Verantwortlichkeit“ gehandelt, es werde, nach der bösen Verstimmung mit der Türkei, nun wieder „normale Beziehungen“ zu Ankara geben. Seine Koalitionspartner loben sich ebenfalls heftig über die „elegante Lösung des Falls“ (so die Demokratische Union) und das „untraumatische Ende dieser für ganz Europa eher unrühmlichen Angelegenheit“ (so die Volkspartei).

Bleiben allerdings wird ein Riß im Verhältnis zwischen Rom und Bonn: Außenminister Lamberto Dini, einer der überzeugtesten „Europäer“ im Kabinett D'Alema, rügte bereits vor Wochen, die Deutschen hätten sich „in dieser Sache überhaupt nicht an die Abmachungen des Schengener Abkommens zur Behandlung von Kriminellen gehalten“. Dies war eine Ankündigung massiver Reaktionen für den Fall, daß die Deutschen sich wie ehedem wieder zu Kritikern der eher milden Behandlung illegal nach Italien einreisender Immigranten aufschwingen. „Öcalan“, so ein Berater des Ministierpräsidenten, „ist nun zwar weg, aber der Tritt, den die Deutschen der internationalen Zusammenarbeit auf dem strafrechtlichen Gebiet versetzt haben, wird sich mit Sicherheit noch böse gegen Bonn selbst richten.“