Nach vorne oder zurück? –betr.: Doppelte Staatsbürgerschaft, „Weiter in der Warteschleife?“ u.a., taz vom 14. 1. 99

Der immer wieder aufflammende Hickhack um die doppelte Staatsbürgerschaft in den Reihen der Unionsparteien zeigt, wie schlecht es um die ehemalige Regierungspartei bestellt ist.

Mit rechten Parolen, wie zum Beispiel der ständig wiederkehrenden Floskel von den „kriminellen Ausländern“, soll der Bedeutungsverlust der vor kurzem noch so mächtigen Parteien eingedämmt werden.

Es läßt sich ja leicht absehen, wie so ein Unterschriftenbogen aussehen wird. Wahrscheinlich ein paar Fragen, die wie Allgemeinplätze aussehen und zu denen jeder Stammtischpolitiker seinen Servus machen kann, die aber später dann als Teil einer großen Protestaktion, als Wille des Volkes, als Aufbegehren gegen die Regierungskoalition verkauft werden. Warum nur wollen gerade diejenigen Parteien eine Unterschriftenaktion starten, die in früheren Situationen die vehementesten Gegner dieser Art von Politik waren, und die es am besten von allen verstanden, die Ergebnisse solcher Aktionen zu ignorieren?

Und außerdem disqualifizieren nicht nur die als Argumente getarnten Parolen diese Aktion, sondern auch das Gerangel innerhalb der Unionsparteien selbst.

Die doppelte Staatsbürgerschaft ist in vielen Staaten bereits legal und gängige Praxis, ohne daß darum allzu großes Aufsehen gemacht wird. Nur in Deutschland tut sich bei diesem Thema wieder eine große Schlucht auf, ein untrügliches Zeichen dafür, wie sehr in Deutschland immer noch mit der Fremdenangst Politik gemacht werden kann.

Wirkliche Argumente gegen eine doppelte Staatsbürgerschaft gibt es nur sehr wenige, das haben die Erfahrungen in anderen Staaten gezeigt. Ein Staat ist – so jedenfalls die Grundidee einer demokratischen Gesellschaft – ein Zusammenschluß von Individuen, die eine gemeinsame Gesellschaftsordnung akzeptieren. Daß wir in der Realität leider immer noch den Staatsbegriff anders wahrnehmen und beispielweise Menschen nach ihrer Abstammung beurteilen (um nicht den Begriff „Blutsprinzip“ gebrauchen zu müssen), ist eine traurige Tatsache. Jetzt wird wieder versucht, gerade diesen Mißstand, der eigentlich überwunden werden sollte, in eine Argumentationsgrundlage umzumünzen.

Die doppelte Staatsbürgerschaft ist auch deshalb für diese Gesellschaft gut, weil damit endlich ein Schritt weg vom Blutsprinzip in Richtung demokratisches Ideal gegangen wird. Es ist zwar nur ein kleiner Schritt, aber im Moment steht immer noch die Frage im Raum, in welche Richtung die Weichen gestellt werden: nach vorne oder zurück. Mirko Klemm, z.Zt. Shenyang, China