Bergarbeiter nähern sich Bukarest

Aufgebrachte Kumpel durchbrechen Polizeisperre auf dem Weg in Rumäniens Hauptstadt. Fünfzehn Verletzte bei Handgemenge mit Sicherheitskräften. Präsident Constantinescu beruft Krisensitzung ein  ■ Aus Bukarest Keno Verseck

Rumäniens Bergarbeiter revoltieren. Zehntausend Kumpel aus dem westrumänischen Schiltal haben ihre gefürchtete Drohung wahrgemacht und marschieren auf die Hauptstadt Bukarest. Nichts scheint sie aufzuhalten. Fernsehbilder von den Scharmützeln und Straßenschlachten im Schiltal zeigten verunsicherte und chaotisch agierende Sicherheitskräfte und triumphierende Bergarbeiter.

Die Regierung hatte das Schiltal zwar schon am Montag morgen von der Außenwelt abriegeln lassen und den Straßen- und Eisenbahnverkehr durch die Region gesperrt. Doch die 5.000 Polizisten und Gendarmen konnten mit schweren Barrikaden und Tränengaseinsätzen nichts gegen die wütenden Bergarbeiter ausrichten.

Nachdem die Kumpel am Montag mittag aus der Schiltal-Stadt Petrosani losmarschiert waren, überwanden sie zunächst unbewachte Straßensperren. Gestern morgen durchbrachen sie eine 2.500 Mann starke Polizeisperre am Ausgang des Schiltals und marschierten am frühen Nachmittag in die am Südrand des Schiltals gelegene Stadt Tirgu Jiu ein. Bei Auseinandersetzngen mit Sicherheitskräften wurden 15 Kumpel verletzt. In Tirgu Jiu wurden sie von mehreren tausend Bergarbeitern, die sich mit ihren Kollegen solidarisiert hatten, begeistert begrüßt. In Bukarest traf sich unterdessen der Oberste Rat zur Landesverteidigung unter Führung von Staatspräsident Emil Constantinescu zu einer Krisensitzung. Ob Sicherheitskräfte die Bergarbeiter auf ihrem Weg nach Bukarest zu stoppen versuchten, war bis Redaktionsschluß unklar.

Bevor der Streik der Bergarbeiter in der Nacht zum Dienstag eskalierte, hatten die Kumpel schon zwei Wochen lang gestreikt. Ohne Ergebnis. Dabei hatte die Regierung ihnen zahlreiche Angebote gemacht. Sie schlug den Betroffenen Entschädigungen, Umschulungen und eine kostenlose Übernahme von Minen vor. Ihr letztes Angebot lautete am Wochenende: Streichung der gesamten Schulden des nationalen Steinkohleunternehmens, wenn die Förderung binnen Jahresfrist verlustfrei arbeitet.

Doch die Streikenden lehnten alle Kompromisse ab. Denn im Hintergrund des Arbeitskampfes geht es nicht um gewerkschaftliche Ziele, sondern um die politischen Ambitionen des Bergarbeiterführers Miron Cozma und die Interessen der rumänischen Oppositionsparteien. Cozma wird vor allem von der faschistischen Groß-Rumänien-Partei unterstützt, deren Vizepräsident er ist. Auch die größte Oppositionskraft, die Partei der sozialen Demokratie des Ex-Staatspräsidenten Ion Iliescu, erklärte den Streik für berechtigt. Die parlamentarische Opposition hofft erklärtermaßen, daß der Druck der Streikenden zum Rücktritt der Regierung und zu vorgezogenen Neuwahlen führt.

Der Bergarbeiterführer Cozma kann auf die Unzufriedenheit im Land und vor allem unter den Bergarbeitern bauen. Die Menschen in Rumänien bekommen fast wöchentlich Preis- und Steuererhöhungen zu spüren und sind mit chaotischen Zuständen in der Staatsverwaltung konfrontiert, während die Wirtschaft immer tiefer in die Krise gerät.

Die Unzufriedenheit im Land und die Aussicht, daß sich Massen Unzufriedener mit den Bergarbeitern solidarisieren, ist es auch, die die Regierung bislang davon abgehalten hat, mit aller Härte gegen die Bergarbeiter durchzugreifen. Zugleich steht jedoch die Glaubwürdigkeit der Regierung – vor allem im Ausland – auf dem Spiel. Sollten die Bergarbeiter wieder einmal – wie schon 1990 und 1991 – Bukarest verwüsten und eine Regierung stürzen, dann wäre das nicht nur ein negatives Signal an die dringend benötigten Auslandsinvestoren. Auch die ohnehin geringen Aussichten auf eine euroatlantische Integration Rumäniens würden ganz schwinden.