"Im Zentrum der Politik"

■ Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul will dazu beitragen, die Rahmenbedingungen in der Weltwirtschaft neu zu gestalten. Für ein Ende neoliberaler Strukturanpassungsprogramme

taz: Die ersten hundert Tage der rot-grünen Bundesregierung sind bald vorbei. Hat sich in Ihrem Ministerium irgend etwas verändert?

Wieczorek-Zeul: Aber ja: Entwicklungspolitik steht wieder im Zentrum von Regierungspolitik.

Woran sieht man das?

Das Ministerium hat zusätzliche Kompetenzen übertragen bekommen, zum Beispiel die Federführung für die EU-Entwicklungspolitik und die sogenannten Transformländer, also die osteuropäischen Länder. In den letzten sechs Jahren ist der Entwicklungshaushalt um neun Prozent reduziert worden. Das haben wir jetzt gestoppt. Wir haben schon für 1999 keine Kürzungen, sondern Steigerungen vorgesehen.

Sinnbildlich ist aber doch: Die Bundesregierung kommt nach Berlin, das BMZ bleibt in Bonn – also am Rande, nicht im Zentrum.

Das müßten Sie dann aber auch für Verteidigungs- und Umweltministerium sagen! Wir werden das Zentrum für Internationale Zusammenarbeit in Bonn stärken. Von der Qualität unserer Arbeit wird die Anerkennung abhängen.

Sie brauchen Anerkennung von den anderen Ressorts?

Von der Öffentlichkeit. Bislang erschien Entwicklungspolitik dort als ein Anhängsel.

In der Regierung Kohl doch auch.

Ja, gerade da.

Und das ändert sich jetzt?

Das haben wir in der Koalitionsvereinbarung ausdrücklich verankert. Entwicklungspolitik ist nicht mehr allein Projektförderung in dem einen oder anderen Land, sondern hat zum Ziel, die Rahmenbedingungen in der Weltwirtschaft mitzugestalten.

Da ist aber gar nicht Ihr Ministerium zuständig, sondern eher das Wirtschafts-, Finanz- und Außenministerium.

Dafür sind mehrere Ressorts zuständig, auch wir. Ich vertrete die Bundesrepublik zum Beispiel in der Weltbank.

Im Internationalen Währungsfonds sitzt aber das Finanzministerium.

Richtig. Oskar Lafontaine und ich verfolgen gleiche Ziele. Wir wollen ein Ende der neoliberalen Strukturanpassungsprogramme. Entschuldungs- und Strukturanpassungsprogramme sollen statt dessen die Armutsbekämpfung zum Ziel haben, sie sollen nachhaltig, ökologisch und sozial verträglich sein. Das ist ganz neu. Oder nehmen wir die Welthandelsorganisation WTO: Es sind wir, die sagen, daß bei den Welthandelsabkommen ökologische und soziale Kriterien durchgesetzt werden müssen.

Gesagt hat das ja manchmal selbst Ihr Vorgänger. Nur viel Einfluß hat er nicht gehabt. Welchen Grund gibt es zur Annahme, daß das jetzt anders ist?

Nehmen Sie die Fakten zur Kenntnis, was wir jetzt schon erreicht haben: Wir sitzen zum Beispiel im Bundessicherheitsrat und werden bei der Frage des Rüstungsexportes ein gewichtiges Wort haben. Das wollten Generationen von Vorgängern und haben es nicht durchsetzen können. Außerdem haben wir, wie erwähnt, unsere Zuständigkeit auf die Reformländer im Osten und die EU- Entwicklungspolitik ausgedehnt. Wir werden national und international schon jetzt viel beachtet.

Spricht angesichts der Zersplitterung der Zuständigkeiten nicht einiges für den Vorschlag, die Fachkompetenz des Entwicklungsministeriums den für Weltwirtschaft und Umwelt zuständigen Ressorts einzugliedern und das BMZ aufzulösen?

Nein. Man muß bestimmte Ansätze, etwa den der globalen Strukturpolitik und der nachhaltigen Entwicklung auch organisatorisch verankern. Andere Ressorts haben andere Aufgabensetzungen und damit auch andere Ansätze.

Das zeigte sich ja bei den Verhandlungen über das umstrittene Multilaterale Investitionsabkommen MAI. Zwar sind die Verhandlungen derzeit ausgesetzt, aber irgendwann wird es wohl unter der Ägide der Welthandelsorganisation WTO weitergehen – gibt es dann wieder Streitigkeiten zwischen den Ressorts?

In den Koalitionsvereinbarungen haben wir zum Thema MAI vereinbart, daß es nach ökologischen und sozialen Kriterien neu gestaltet werden muß. Dabei müssen die nationalen Gesetzgeber in der Lage bleiben, ökologische und soziale Standards bei Investitionen einzuführen. Bei der Frage etwa, wie das Mandat für die WTO aussieht, werden wir klar Einfluß nehmen und dafür sorgen, daß auch dabei soziale und ökologische Kriterien eine Rolle spielen.

Das heißt, das MAI soll ruhig kommen, aber mit ein paar sozialen und grünen Einsprengseln?

Ich persönlich halte den Ansatz des MAI für so diskreditiert, daß ich da in keiner Weise mehr anschließen möchte.

Für die Schulden der Entwicklungsländer ist das Finanzministerium zuständig. Was sagt Oskar Lafontaine zu Ihrer Entschuldungsinitiative?

Die wird von ihm unterstützt.

Frankreich hat längst den Erlaß der bilateralen Schulden für Nicaragua und Honduras nach dem Hurrikan Mitch verkündet, Deutschland nicht. Warum nicht?

Ich habe in Mittelamerika für die Bundesrepublik über 50 Millionen Mark Wiederaufbauhilfe zugesagt. Mittlerweile stehen 79 Millionen Mark zur Verfügung. Und wir haben uns für ein Schuldendienstmoratorium ausgesprochen und das jetzt im Pariser Club durchgesetzt.

Diese Abmachung mit dem Club der staatlichen Gläubiger verringert ja die Schulden nicht.

Es wird auch einen bilateralen Schuldenerlaß der Bundesrepublik Deutschland für die beiden Länder geben. Es ist wichtig, daß es zu einer internationalen Anstrengung kommt, um den ärmsten Entwicklungsländern die Schuldenlast zu erleichtern. Denn alle großen Industrieländer müssen sich intensiv beteiligen.

Werden daran Auflagen für die verschuldeten Staaten geknüpft?

Wir wollen sicherstellen, daß die Regierungen einen Teil der erlassenen Schulden in Landeswährung in Gegenwertfonds einzahlen. Das Geld soll zur Armutsbekämpfung und nachhaltigen Entwicklung eingesetzt werden.

Es gibt ja Überlegungen, Entwicklungsgelder nur noch auf Länder mit „Good Governance“ zu konzentrieren, also demokratische Länder mit rechtsstaatlichen Prinzipien. Versager wie Nicaragua oder afrikanische Bürgerkriegsländer fielen da heraus.

Da sind ja Staffelungen möglich. Würden wir uns nur auf modellhaft funktionierende Demokratien konzentrieren, könnten wir tatsächlich unseren Haushalt stark einschränken. Aber: Wenn es massive Verletzungen von Menschenrechten gibt, dann setzen wir die finanzielle Zusammenarbeit aus.

Wie ist das bei den Atomtestländern Indien und Pakistan?

Ich habe entschieden, daß die finanzielle Zusammenarbeit vorerst nicht wieder aufgenommen wird.

Bisher haben militärisch relevante Länder einen Großteil der Gelder empfangen, etwa die Türkei. Wird sich da etwas ändern?

Wir sollten uns darauf konzentrieren, in der Osttürkei mit Blick auf die Verbesserung der Bedingungen der kurdischen Bevölkerung zu helfen. Dazu setzen wir unsere entwicklungspolitische Zusammenarbeit ein. Rüstungsexporte in die Türkei halte ich wegen der Menschenrechtssituation dort nicht für richtig.

Heißt das, daß diese Bundesregierung endlich anerkennt, was Ex-Außenminister Kinkel nie sehen wollte, nämlich daß deutsches Militärgerät vertragswidrig in Kurdistan eingesetzt wird?

Ich habe dazu eine klare Position.

Ist das ein „Ja“?

Ja.

Sie haben die Federführung bei den Verhandlungen der EU mit den Ländern Afrikas, der Karibik und des Pazifiks. Was machen Sie anders als Ihre Vorgänger?

Das bisherige Mandat atmet in manchem noch den neoliberalen Geist. Da heißt es, daß es um die harmonische und schrittweise Einbeziehung dieser Länder in die Weltwirtschaft geht. Das ist, wenigstens für die ärmsten dieser AKP-Länder, eine Illusion. Wir wollen, daß solche Länder ihre Märkte auch ein Stück schützen können. Interview: Nicola Liebert,

Bernd Pickert