Formgebung eines Kompromisses

Der jüngste Entwurf für ein Holocaust-Mahnmal in Berlin hat gute Realisierungschancen. Der Architekt Peter Eisenman stellt am Donnerstag sein Modell in Bonn vor  ■ Von Harry Nutt

Berlin (taz) – Weniger Betonstelen, dafür aber eine Million hinter einer Glaswand sichtbare Bücher zum Thema Holocaust haben die Chancen auf Realisierung eines Mahnmals für die ermordeten Juden Europas in Berlin erheblich verbessert. Der New Yorker Architekt Peter Eisenman wird sein zweites überarbeitetes Modell (siehe Foto) morgen in Bonn der Öffentlichkeit vorstellen.

Nach den Vorschlägen des Kulturbeauftragen der Bundesregierung, Michael Naumann, hat Eisenman seinen letzten Entwurf ergänzt – um ein Museum, das sogenannte „Haus der Erinnerung“, sowie eine Bibliothek und eine Forschungsstätte. „Ich glaube“, so Naumann gestern im Sender Freies Berlin, „daß dieser neue Vorschlag alle Einwände, aber auch alle Hoffnungen von Gegnern des ursprünglichen Entwurfs aufnimmt und realisiert.“ Der neue Entwurf, den die FAZ als „Mehrzweckhalle der Betroffenheit“ bezeichnet hat, sieht eine Verkleinerung des ursprünglich geplanten Stelenfeldes um 20 Prozent vor. Kritiker hatten wiederholt die Monumentalität von Eisenmans vorangehenden Entwürfen beklagt und eine Darstellbarkeit des Holocaust prinzipiell bestritten. Der neue Entwurf ist ein kompromißbereites Potpourri, das die bisherige, über zehn Jahre dauernde Diskussion zusammenfaßt. Politisch könnte die bunte Pizzabelegung allerdings aufgehen.

Der Vorschlag ist nicht zuletzt ein Kunststück binnenpolitischer Diplomatie, die nach Startschwierigkeiten mit Fingerspitzengefühl und Stilsicherheit unter Berücksichtigung aller Entscheidergruppen zu einem absehbaren Ende geführt wurde. Bereits am vergangenen Sonntag hatten Naumann und Eisenman das Modell in der Privatwohnung von Michael Blumenthal, dem Direktor des Jüdischen Museums, unter großer Geheimniskrämerei präsentiert.

Ein Großteil der von Naumann angeregten Ergänzungen wird unterirdisch eingearbeitet. Auf dem oben abgebildeten Modell befindet sich anstelle des Stelenfeldes eine Glasplatte. Das große Gebäude im Hintergrund links stellt die geplante US-Botschaft dar. Das langgestreckte Gebäude davor, an der nördlichen Begrenzung des Grundstücks, ist die transparente „Wand der Bücher“, eine Bibliothek der Gedenkstätte aus Stahl und Glas. An die Bücherwand schließt südlich in ganzer Länge eine Glaspassage an. Zum Stelenfeld hin fällt das Gebäude stufenartig ab. Drei über 400 Quadratmeter große Kellerräume laufen unter der Erde tunnelartig in das Stelenfeld hinein. Hier sollen Ausstellungsräume entstehen.

Als Nutzer der verschiedenen Einrichtungen hat Michael Naumann wiederholt das New Yorker Leo-Baeck-Institut vorgeschlagen. Teile von Steven Spielbergs Shoah Foundation, einer Sammlung von rund 50.000 Interviews mit Holocaust-Überlebenden, könnte hier ebenso untergebracht werden wie ein Genozid-Institut, das sich der Erforschung von Völkermorden widmet. Als Nutzer des Museums war bislang das Jüdische Museum im Gespräch. Michael Blumenthal signalisierte gestern in Berlin seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit. „Wenn man mich fragen würde, die Koordination einer Planungsgruppe zu übernehmen, bin ich dazu bereit.“

Der formale Weg zur Entscheidungsfindung wird laut SPD-Fraktionschef Peter Struck in den nächsten Wochen von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und vom Kulturausschuß des Bundestags unter Leitung von Elke Leonhard ausgearbeitet. Thierse plant, dem Bundestag zwei alternative Konzeptionen zur Abstimmung vorzustellen. Die Mehrkosten des neuen Entwurfs von rund 90 Millionen Mark sollen, so Struck, aus Haushaltsmitteln des Bundes aufgebracht werden. Obwohl auch Bundeskanzler Schröder dem neuen Modell zustimmt, ist laut Struck keineswegs sicher, daß das neue Eisenman/Naumann-Modell eine Mehrheit im Bundestag findet. Die Regierungskoalition werde die Abstimmung freigeben. Koalitionszwang soll es bei dieser symbolträchtigen Entscheidung nicht geben.