Vom Text zum Körper und zurück

■ Thomas Meinecke liest aus seinem Roman „Tomboy“

Thomas Meinecke sieht man den Popkulturarbeiter an. Stets trägt er eine Basballkappe, und wenn er heute abend im Literaturhaus aus seinem Roman Tomboy lesen wird, hat er natürlich seine Plattenkiste griffbereit. Anders als die jüngeren Popkulturschreiber, mit denen er gerne in einen Topf geworfen wird, hat Thomas Meinecke, Radio-DJ und seit 18 Jahren bei der Band FSK, aber ein anderes, komplexeres Verständnis der pop culture entwickelt. Ihm geht es weniger um Pop als Oberflächenreiz, als schillernde Referenzmaschine mit geringer Halbwertszeit, er verfolgt vielmehr die feinen Linien, die sich über die Alltäglichkeiten von Pop-Usern legen. Gerne betont er dabei die Nähe seines Schreibens zum Plattenauflegen, wenn man zwei verschiedene Stücke ineinanderblendet, hoch- oder herunterpitcht. Und das ist bei ihm beileibe keine Attitüde.

In Tomboy ist es der radikale Feminismus einer Judith Butler, den er in seiner Mischmaschine mit Pop überblendet. Kein Wunder, kreisten doch beide in den letzten Jahren immer enger umeinander. Kein Wunder auch, daß sich die Protagonisten von Tomboy in Bands wie Sleater-Kinney, wiederfinden, die genau an diesem Übergang tätig sind. Da ist die zwangsheterosexuelle Vivian, die den misogynen Otto Weininger und die feministische Judith Butler zusammendenken will. Da ist die lesbische Frauke und die bisexuelle Feministin Pat Meier und der feministische Gelegenheitsarzthelfer Hans. Sie alle betreiben ein aufregendes und aufreibendes De- und Rekonstruktionsspiel mit traditionellen Gegensätzen wie „Männlich“ und „Weiblich“. Und das auf ziemlich hohem Niveau.

Angeregt durch Gender Trouble, Judith Butlers wegweisender Studie über das Unbehagen der Geschlechter, unterlaufen sie die Kategorien, wie es ihnen paßt. Sie schwatzen, philosophieren und lieben sich im universitären Heidelberg immer tiefer in die Theorie herein. Theorie wird Alltag, wird Körper – und unter den Händen von Meinecke wieder zu Text. Erstaunlich, wie er sich in die Standardwerke der Uni-Szene eingelesen hat, in der Judith Butler und auch Madonna zu Pop-Ikonen werden. Erstaunlich, wie es ihm gelingt, den „Uni-Rap“ mit einiger Ironie wiederzugeben, ohne dabei eine Figuren zu verraten.

Daß diese längst fällige Literarisierung des Postfeminismus dabei ausgerechnet ein Mann fertigte, wird darüber beinahe nebensächlich. Um so mehr als mit Sylvia Bovenschen eine renommierte Frauenforscherin für die Einführung gewonnen wurde.

Volker Marquardt

Thomas Meinecke: „Tomboy“, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1998, 251 Seiten, 39,80 Mark

Lesung: 20 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38