Die Schlagerfamilie Ost

Die Schlager der DDR kommen wieder. Heiteres Ostliedgut, das nach der Wende kaum noch jemand hören wollte, erlebt in der Ex-DDR zur Zeit ein großes Comeback. Ein Besuch bei den Schlagerfans des Ostens  ■ Von Barbara Bollwahn
de Paez Casanova

Sie sind wie eine Familie. Geht es ihm schlecht, leiden sie mit. Geht es ihm gut, fühlen sie sich bestens. Das Stimmungsbarometer ist Ekki Göpelt, Schlagersänger aus Sachsen, seit zwanzig Jahren im Geschäft. Seine Anhänger nennen sich nicht Fans, sondern Freunde. Ihr Club ist sein Freundeskreis.

Dazu gehört das Ehepaar Brettschneider aus der Schönhauser Allee im Osten Berlins, das „unseren Ekki“ zu Auftritten begleitet. Auf einer Ostschlagerveranstaltung in Berlin-Marzahn erzählen sie stolz: „Wir haben Ekki vor sechs Jahren in einer Gaststätte kennengelernt. Er saß weinend in einer Ecke.“ Auf Nachfrage erfuhren die Brettschneiders, daß der Mann seinen Yorkshireterrier Mäxchen in die Tierklinik geben mußte und deshalb so traurig war. „Am nächsten Tag saß er wieder in der Kneipe“, erzählt die 57jährige Ingrid Brettschneider weiter, „sein Hund mußte eingeschläfert werden.“

Ekki Göpelt fand bei den Brettschneiders nicht nur Trost, sie wurden auch die ersten Mitglieder seines Fanclubs. Der trifft sich jetzt zweimal im Jahr in einem Lokal mit dem passenden Namen „Café Family“. Wenn ihr Ekki Zeit hat, laden sie ihn zum Essen ein. Gekocht wird, was er sich wünscht.

„Das gibt's nur bei Ossis“, merkt eine Freundin der Brettschneiders an. Ingeborg Wrusch kennt Ekki Göpelts Musik seit Ende der siebziger Jahre, als er mit Hits wie „O, Rosalie“ in der „Schlagerrevue“ bei Radio DDR zu hören war. Damals war er noch Lehrer in Sachsen, „ein ganz schlauer“, wie sie sagt.

Doch es ist nicht nur die Musik, die Ingeborg mit Ekki verbindet. „Wir sind vierzig Jahre lang eine Gemeinschaft gewesen“, sagt sie. „Jeder war für den anderen da, ob der Nachbar in den Knast gekommen ist oder die Wohnung renoviert hat – daran halten wir fest.“ Deshalb steht sie auch zu Ekki Göpelt, der früher als Ekkehard Göpelt auftrat, und zu seiner Musik.

Ingeborg Wrusch kämpft für die Anerkennung der DDR-Schlagersänger im wiedervereinigten Deutschland. „Unsere Künstler kriegen nicht die Chance wie Westsänger“, klagt sie. Schuld daran seien die Vorurteile. „Wir haben immer Westsänger geguckt“, erzählt sie. Doch umgekehrt gebe es dieses Interesse nicht. „Wir kriegen das Gefühl, der letzte Husten zu sein“, fällt ihr Doris Gerbinski ins Wort, die mit ihren 39 Jahren zu den jüngeren Mitgliedern des Freundeskreises gehört.

Ekki Göpelt bedeutet der Freundeskreis sehr viel. „Die sind nicht künstlergeil“, sagt er, „die wollen, daß ihr Liebling Erfolg hat.“ Und weil der große Erfolg nur kommt, wenn Ostsänger auch im Westen auftreten, kämpft Ingeborg Wrusch gegen die Vorurteile des Westens. „Es macht uns traurig“, sagt sie, „daß unsere gestandenen Künstler keine Chance im Westen haben.“ Daß die gute Musikausbildung im Osten nichts mehr wert sein soll, verstehen Göpelts Freunde nicht.

Dabei gehört ihr Ekki zu den wenigen DDR-Schlagersängern, die es, wenn auch nicht zum großen Durchbruch, so doch zumindest zum Anschluß nach der Wende gebracht haben. Behilflich dabei war ihm Westkollege Frank Zander, dem Göpelts Hit „Begrabt mich in der Kneipe“ gefiel. Zack! nahm er ihn in sein Vorprogramm und produzierte eine CD mit ihm. Hilfreich war auch seine Arbeit als Radiomoderator bei Antenne Brandenburg, wo er heute noch eine Schlagersendung moderiert. „Als Moderator müssen sie sich mit mir abgeben“, spielt Göpelt seinen Trumpf aus.

Obwohl es für ihn Ost und West nicht gibt, kommt er, wie viele andere Ostkollegen auch, nicht so richtig an im Westen – abgesehen von Artikeln in Praline oder der Berliner Boulevardzeitung B.Z., die über seinen übermäßigen Alkoholgenuß und seine Nierenkrebsoperation vor einigen Jahren berichtete.

Ekki Göpelt will nicht klagen. Er will nicht als verbittert gelten. Doch wenn ihm einer wie Dieter Thomas Heck seit Jahren verspricht, ihn in seine Show zu nehmen, und es nicht tut, und der Bayerische Rundfunk auch kein Interesse an seiner neuen Platte hat, ist er doch verbittert. Sein Resümee nach acht Jahren Erfahrungen im Westschlagergeschäft: „Es gibt im Westen eine Art Mafia. Ostler haben oft nur eine Alibifunktion.“ Daß er dennoch ab und an einen Fuß in die Tür bekommt, schreibt er seinem Fleiß, seiner Ausdauer und seinem Manager, einem ehemaligen DDR-Gastronom, zu.

Um erfolgreich zu sein, brauche er keinen Westtexter. „Ich bleibe meinen Leuten treu.“ Eins weiß Göpelt mittlerweile: „Viele Wessis, die ich jahrelang bewundert habe, kochen auch nur mit Wasser.“ Ansonsten übt sich Göpelt in diplomatischer Zurückhaltung: „Bei verschiedenen Sendestationen muß man um den Erhalt des deutschen Schlagers kämpfen.“

Davon weiß Siegfried Trzoß ein Lied zu singen. Der 54jährige Moderator, der seit der Wende Auftritte für ehemalige DDR- Schlagersänger, –Komponisten, –Schauspieler und –Entertainer organisiert, verlor sogar seinen Radiojob, weil er zu viele Ostschlager spielte. Seine Oldiesendung „Siggis Plattenschrank“ bei dem Seniorensender Radio 50 plus wurde wegen zu viel Musik made in GDR abgesetzt. „Ich bin wegen Ostlastigkeit geflogen“, erzählt er. „Fünf bis sechs ehemalige Ostlieder in zwei Stunden waren eine gewisse Ostlastigkeit.“

Für Trzoß' Engagement gibt es Gründe: Er ist ein bekennender Fan des ostdeutschen Schlagers. Er hat erlebt, wie die meisten der 430 Schlagersänger nach der Wende resigniert haben. Deshalb hat er viele von ihnen aus der Versenkung geholt und für sein monatliches Unterhaltungsprogramm für Senioren, das abwechselnd in den Ostberliner Stadtbezirken Hellersdorf und Marzahn stattfindet, engagiert. „Prominentenplausch“, so der Titel. Zum 75. Kaffeegeplauder Mitte Oktober hat er über achtzig mehr oder weniger verglühte Stars vom DDR-Schlagerhimmel auf die Bühne geholt. Zwölf Stunden lang gaben sie sich das Mikrofon im Zehnminutentakt in die Hand. Die Zuschauer waren begeistert.

Trzoß betont, daß das nichts mit Ostalgie zu tun habe. „Die Haltung der Leute, alles konsumieren zu wollen, ist mittlerweile verblaßt“, so der Moderator. „Jetzt stellen sie fest, die Westsänger können auch nicht besser singen.“ Der Zulauf, den ehemalige Ostsänger derzeit haben, spreche für deren Leistung und dafür, daß die Erfolge zu Ostzeiten nicht umsonst gewesen seien. „Generationen wurden groß damit“, so Trzoß weiter, „und die wollen sich erinnern.“

Für viele der Sänger, die diesen Erinnerungsprozeß ermöglichen, sind Auftritte wie bei dem Jubiläumskaffeeplausch, die gerade einmal einhundert Mark Aufwandsentschädigung bringen, ein Erlebnis, das nicht zu bezahlen ist.

Eine von ihnen ist die Sängerin Maja Catrin Fritsche, die vor zwanzig Jahren „Ein freundliches Wort ist ein Schlüssel zum Glück“ sang. Sie freute sich, ehemalige Kollegen wiederzusehen. Sie war „im DM-Sommer“ in ein Loch gefallen. „Ich bin zum Arbeitsamt gegangen und habe eine Weiterbildung als Buchhalterin gemacht“, erzählt die 38jährige. Seit 1994 singt sie wieder. Hauptsächlich da, „wo mich die Leute kennen“ – auf Stadtfesten, bei Eröffnungen von Autohäusern und mit viel Glück auch mal auf einer Gala. Mit dem Westen hat sie ihre ganz eigenen Erfahrungen gemacht. „Auf einer großen Osttour kurz nach der Wende wurden wir mit ungedeckten Schecks bezahlt“, erzählt sie. Der Veranstalter: ein Westler. So etwas sei heute nicht mehr möglich, sagt sie. Doch eins steht für sie fest: Die Zeiten, wo ein Handschlag noch etwas wert war, sind vorbei. Auch im Schlagergeschäft.

Auch Karl-Heinz Wendorff, der sich als Moderator, Sänger, Sportentertainer und Kinderspielmeister vorstellt, findet es „schade, daß man uns im Westen nicht kennt“. Dabei gibt es viele Ostler, die sich noch an die DDR-Aerobicsendung „Medizin nach Noten“ erinnern, die der Sportlehrer bis 1989 moderiert hat. Als die Mauer fiel, hat er sich gefreut: Endlich Konkurrenz!

Zu einem Konkurrenzkampf ist es gar nicht erst gekommen. Wendorff tritt hauptsächlich im Osten auf. Doch das entmutigt ihn nicht. Er hat seine Nischen gefunden. Entweder tingelt er mit seiner Frau, seinen Minirassehunden und seiner „Wendi Show“ durch Schulen, Kindergärten und Seniorenheime, oder er moderiert das Sechstagerennen und den Berlin-Marathon. Auch für Eröffnungen von Autohäusern ist er sich nicht zu schade. Es ist sein Job. „Ich bin ein fleißiger Arbeiter“, beschreibt er sich. Wendorff weiß: „Ich habe nie den großen Sprung gemacht.“ Doch zu einem fühlt er sich berufen: die Menschen froh zu machen. „Es gibt so viele Menschen, die unterhalten werden wollen“, sagt er.

Nur manchmal will der Funke nicht so richtig überspringen. Wendorff hat anläßlich des hundertjährigen Bestehens des Leichtathletikverbandes ein Sportlied gemacht. Ein Hit ist aus seinem liebevollen „Gold-Silber-Bronze“ bisher nicht geworden. Über die Originalität von Liedzeilen wie „Schneller, höher, weiter“, „Der sportliche Ruhm ist unser Lohn“ oder „Es schlägt die Stunde der Wahrheit, wer wird der Sieger sein?“ läßt sich freilich streiten. Doch Wendorff glaubt fest an sein Lied: „Ich möchte, daß in Deutschland in jeder Sportkneipe mein Sporthit gesungen wird.“

Weitaus bescheidener ist da James W. Pulley. Vielleicht, weil er schon immer seinen Platz behaupten mußte. Der 62jährige ist ein Exot unter den DDR-Schlagersängern. Weil er schwarz ist und weitab der DDR, in Philadelphia, geboren wurde. Der ehemalige amerikanische Besatzungssoldat war 1955, mit sechzehn Jahren, aus einer US-Kaserne in Bayern desertiert. Wegen eines Mädchens aus Halberstadt, das er kennengelernt hatte, als sie ihre Verwandten in Augsburg besuchte. Schon ein Jahr später, mittlerweile war er in Bautzen in Sachen Sozialismus, Kommunismus und Kapitalismus geschult worden, begann seine musikalische Karriere.

Bei einem Tanzabend im sächsischen Görlitz holte ihn die Band zu einem Glenn-Miller-Song auf die Bühne. Von da an trat er mit dem Tanzorchester Schwarz- Weiß aus Dresden auf. Dreizehn Jahre lang tingelte er mit Dagmar Frederic durch den Osten: Gospel, Belafonte-Lieder, Rock 'n' Roll und deutsche Schlager. „Ich bin nicht anders, nur ein wenig brauner, auch im Winter“, hieß es in seiner Promomappe. Sechzig Auftritte hatte er pro Monat, erzählt seine Frau und Managerin.

Auch Pulley gehörte Mitte Oktober zu den Gästen des Jubiläumskaffeeplauschs in Marzahn. „Die Fahrtkosten und das Mittagessen haben wir drin“, konstatierte seine Frau in der Mittagspause trocken. Die beiden haben sich von ihrem Ersparten ein Haus in Berlin-Johannisthal gebaut, damit sind sie zufrieden. Heute tritt ihr Mann, der sich in seinen Programmen „Das Show-Koladen-Bonbon“ nennt, als „Afroamerikanischer DDR-Bundesbürger“ auf. Eine doppelte Wende.

Barbara Bollwahn de Paez Casanova, 34, ist Redakteurin in der Berliner Lokalredaktion der taz. Sie kommt zwar aus dem Osten, hört aber trotzdem keine Schlager