"Das Modell lag in den letzten Zügen"

■ Es hätte weitergehen können. Das ging aber nicht. Über den Zusammenbruch des bisherigen Schaubühnen-Ensembles und wie es dazu kam - ein Gespräch mit dem Schauspieler Wolfgang Michael, der wie die Regi

Er gehört zu den eher stillen Größen auf Berliner Bühnen: Wolfgang Michael ist seit 1993 Mitglied des in seiner Auflösung begriffenen Ensembles der Schaubühne am Lehniner Platz. Die Interpretation der gebrochenen Helden eines Anton Tschechow (zuletzt in „Onkel Wanja“) haben den 1955 in Waldfeucht bei Aachen geborenen Schauspieler bekannt gemacht. Nach zahlreichen Hörfunkarbeiten wird er demnächst auch im Kino zu sehen sein: in „Abendland“, Fred Kelemens eben in Portugal abgedrehtem „abendfüllendem Experimental-Spielfilm“. Gemeinsam mit der scheidenden künstlerischen Leiterin Andrea Breth wird Wolfgang Michael im April 1999 von der Schaubühne an das Wiener Burgtheater wechseln.

taz: Sie arbeiten an einem Theater, das vor einem Vierteljahrhundert auch wegen einer radikal praktizierten Ensemblepolitik Furore machte. Welche Erfahrungen haben Sie an der Schaubühne mit der Ensemblearbeit gemacht?

Wolfgang Michael: Vornehmlich gute. In jedem Fall ist es besser, als ständig in einer Gastsituation zu sein, wo die Schauspieler aus allen Himmelsrichtungen zusammenkommen, einmal gemeinsam spielen und dann wieder auseinandergehen. Darunter leidet einfach die Qualität. Natürlich kann auch ein Ensemble nur über eine befristete Zeit existieren. Es vermittelt ein Gefühl von Sicherheit, wenn trotz aller Fluktuation, die es ja auch in Ensembles immer gibt, ein fester Stamm da ist.

Wie stehen Sie zur jüngsten Entwicklung der Schaubühne, zur geplanten Übernahme durch Thomas Ostermeier und die Choreographin Sasha Waltz ab der nächsten Spielzeit?

Wenn es zu einem Bruch kommt, dann muß es ihn auch wirklich geben, dann muß sich der Laden wirklich ganz neu definieren.

Wäre das Ihrer Auffassung nach überhaupt notwendig gewesen?

Nein, absolut nicht. Ich habe mich über weite Strecken sehr wohl gefühlt und finde es schade, daß die Arbeit nicht fortgeführt wird.

Können Sie nachvollziehen, wie es zum Bruch kam?

Es gibt ja eine wirklich lange Tradition an der Schaubühne. Als Andrea Breth die künstlerische Leitung übernahm, hat man es meiner Ansicht nach versäumt, für vieles eine neue Definition zu finden. Breth hat versucht, die Tradition in gewisser Weise fortzuführen, aber eben nicht mit allen Konsequenzen: Das Mitbestimmungsmodell lag bereits in den letzten Zügen. Die Versuche, es auf eine andere Weise zu reorganisieren oder zu reanimieren, sind bei der Intendanz nicht wirklich auf Gegenliebe gestoßen. Da konnte man irgendwie nicht richtig damit umgehen, und so ganz allmählich verläpperte es sich. Es gab damals schon eine kleine Kollision zwischen den alten Schaubühnen- Leuten und den neuen, zu denen ich, Robert Hunger-Bühler, Thomas Thieme und noch ein paar andere gehörten. Das ist irgendwie nicht richtig zusammengewachsen.

Woran lag das?

Die alten Schaubühnen-Leute hatten schon eine ganze Ära, die Stein-Ära, hinter sich. Und waren also naturgemäß ein bißchen distanziert und wollten für sich bestimmte Freiräume haben. Die neuen, die aus einer ganz anderen Geschichte kamen, mehr aus der Geschichte des Stadttheaters, kannten diesen fast schon rigiden Zusammenhalt des alten Schaubühnen-Ensembles, wie es früher existiert hat, eigentlich gar nicht. Die waren ohnehin viel mehr außenorientiert, viel offener für Dinge, die von außen an sie herangetragen wurden, also für Gastspiele, Fernsehen usw. Das war ein großes Thema damals, als es auseinandergebrochen ist.

Gab es ein konkretes Ereignis, das den Bruch auslöste?

Vor anderthalb Jahren, nach Kleists „Familie Schroffenstein“, sollte eine neue Produktion kommen, „Dantons Tod“ von Georg Büchner. Einige Kollegen aber hatten offenbar andere Interessen. Die Frustration seitens der Leitung war so groß, daß man dort irgendwann sagte: Also entweder kommt die Produktion so, wie wir uns das vorstellen, und es werden keine Urlaube gegeben – oder aber sie kommt nicht. Und dann kam sie eben nicht. Das war wirklich ein Knackpunkt. Da brach die alte Idee des Ensembles einfach auseinander.

Welche Konsequenzen ergeben sich denn aus dieser Idee?

Es ist eben die Frage, ob man in einem Ensemble so ohne weiteres sagen kann: Nein, das und das will ich nicht. Die Verantwortung gegenüber dem Ensemble ist ziemlich hoch. Wenn man ein wirkliches Ensemble ist, und das muß wohl früher so gewesen sein, dann muß man auch sagen können: Gut, ich spiele jetzt einmal nichts oder etwas Kleines in der Hoffnung, daß im nächsten Jahr was Größeres kommt. Das war damals natürlich gerade von Stein immer auf eine starke Weise zusammengehalten. Und als dann die Neuen kamen, alle aus einer anderen Tradition, war das Ensemble plötzlich anders definiert.

Wann genau hat Breth das Handtuch geworfen?

Als die Produktion geplatzt ist, zu Beginn der letzten Spielzeit. Wir kamen aus dem Urlaub zurück, es gab die Wiederaufnahme von „Familie Schroffenstein“ und dicke Luft. Als Andrea Breth sagte, sie würde die künstlerische Leitung zurückgeben, konnte noch niemand absehen, was für Konsequenzen das haben würde.

Wie begründete sie ihre Entscheidung?

Wer Andrea kennt, weiß, daß sie sehr leidenschaftlich an den Dingen hängt und sehr obsessiv ist. Wenn sie jemandem sagt: „Ich mache mit dir Rumpelstilzchen“, dann macht sie es nur mit dir, weil sie sich einfach kein anderes Rumpelstilzchen vorstellen kann. Wenn der dann nicht will, ist es für sie nicht so ohne weiteres möglich, einfach „umzudisponieren“. Es liegt einfach nicht in ihrer menschlichen Möglichkeit, was ja auch eine große Qualität ist: Sie hat Vertrauen und eben auch Treue. Das ist es ja, was ein Ensemble letztendlich ausmacht. Irgendein Gastregisseur würde sagen: Gut, dann nehmen wir einen anderen.

Was halten Sie nach Ihrer Zeit an der Schaubühne von dem Ensemblegedanken?

Wenn es funktioniert, ist es wunderbar. Aber es hat eben immer weniger funktioniert. So, wie es unter Stein gewesen sein mag oder wie Ostermeier es umzusetzen plant (also achtundzwanzig Schauspieler und zwölf Tänzer ohne Urlaub und ohne Möglichkeit, herauszukommen), gefällt es mir mittlerweile nicht mehr. Das ist auch nicht mehr meine Idee.

Was wird aus der Schaubühne?

Ich finde es ein großes Wagnis, was die da vorhaben. Aber ich sehe mich außerstande, irgendeine Prognose abzugeben. Es wird viele Schwierigkeiten geben, denn es ist ein Unterschied, ob man am Rande des Prenzlauer Bergs oder am oberen Ku'damm ist. Nicht nur geographisch. Ob man in einem Raum spielt, der per se schon eine große Atmosphäre hat, große Intimität, große Strahlkraft mitbringt und immer den Charakter des Improvisierten hat, oder ob man sich in diesen Mendelssohn-Bau reinklatscht, wo alles gedeckt ist, wo es mehr aussieht wie in einem Schwimmbad als in einem Theater. Das ist ein Unterschied. Interview: Marc Hairapetian

und Claudia Tour-Sarkissian