■ Die Bergarbeiterrevolte wirft die Demokratisierung um Jahre zurück
: Poker um die Macht in Rumänien

Rumänien erlebt die schwerste Krise in seiner postkommunistischen Geschichte. Ein regionaler und scheinbar gewöhnlicher Arbeitskampf hat sich binnen weniger Tage zu einer Revolte ausgeweitet, die an den Festen des Staates rüttelt. Im Dezember 1989, als der größenwahnsinnige Diktator Nicolae Ceaușescu stürzte, war es nicht anders: Die Proteste in der Stadt Temesvar weiteten sich binnen weniger Tage zu landesweiten Protesten aus und führten zum Sturz der Diktatur. Doch die Analogie erschöpft sich in der Form. Neun Jahre nach dem Sturz Ceaușescus steht Rumänien vor einer Revolte mit umgekehrtem – mit totalitärem – Vorzeichen.

Der Streik der Bergarbeiter hatte von Anfang an ein politisches Anliegen. Miron Cozma, der fanatische Bergarbeiterführer, verlangte mit seinen Forderungen praktisch einen Stopp des ökonomischen Reformprogramms. Er pokert jetzt um einen Sturz der gegenwärtigen Machthaber und um eine Entwicklung weg von Demokratie und Rechtsstaat.

Die Schützenhilfe für den Bergarbeiterboß kommt von der faschistischen „Groß-Rumänien“-Partei. Ihr Chef, Ceaușescus ehemaliger Hofpoet Corneliu Vadim Tudor, läßt keinen Zweifel daran aufkommen, daß er die Bergarbeiter voll und ganz unterstützt. Er fordert zum Generalstreik, zu einem Aufstand gegen die jetzige Regierung auf. Dabei läßt er keinen Zweifel daran aufkommen, daß er eigentlich ein totalitäres, antiwestliches und autochtones Regime einführen will.

Doch es sind nicht nur zehntausend Bergarbeiter und die im Parlament mit viereinhalb Prozent vertretene „Groß-Rumänien“-Partei, die einen Sturz der Demokratie wollen. Ein großer Teil der rumänischen Gesellschaft sympathisiert mit der Bergarbeiterrevolte – auch wenn bislang nur eine Minderheit diese Sympathien tatkräftig ausdrückt.

In den Solidaritätsbekundungen vieler Menschen mit den Aktionen von Cozma und seinen Leuten ist nicht nur eine große Unzufriedenheit über die sozialökonomische Misere zu spüren, sondern ein geradezu abgrundtiefer Haß auf die gegenwärtigen Machthaber und ihre ökonomischen Reformvorhaben. In ihrem persönlichen Empfinden haben die meisten Menschen in Rumänien nie zuvor schlechter und in einer verzweifelteren Situation gelebt als jetzt. Vielen von ihnen erscheint die Zeit unter dem Diktator Ceaușescu und unter dem neokommunistischen Staatspräsidenten Ion Iliescu im nachhinein die bessere Alternative.

Tatsächlich haben die jetzigen demokratischen Machthaber in den vergangenen zwei Jahren alle in sie gesetzte Hoffnungen enttäuscht. Sie führten weder ökonomische Reformen durch, noch konnten sie organisierte Kriminalität und Korruption in den Griff bekommen. Doch die jetzige Regierung muß auch für das bezahlen, was viele Menschen in Rumänien als die bessere Alternative empfinden: Der größenwahnsinnige Diktator Ceaușescu hat 1989 ein kaum vorstellbares soziales Elend hinterlassen, und das halb autoritäre Regime des ehemaligen Staatspräsidenten Ion Iliescu hat daran wenig ändern wollen. Es hat der demokratischen Opposition bei ihrem Wahlsieg vom Herbst 1996 vielmehr ein bereits sinkendes Schiff übergeben.

Freilich ist auch Rumäniens zivile Gesellschaft in Bewegung gekommen. Im Land finden die ersten Demonstrationen gegen die Bergarbeiter und für die Verteidigung des Rechtsstaats statt. Wie viele Menschen dafür tatsächlich auf die Straße gehen, muß sich zwar erst noch zeigen, doch der tiefe Riß durch die Gesellschaft ist längst spürbar. Vielleicht wird dieser Riß zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führen. Fest steht nur soviel: Die Bergarbeiterrevolte hat Rumänien in seiner Entwicklung zu demokratischen und rechtsstaatlichen Verhältnissen um Jahre zurückgeworfen. Keno Verseck