Süßer Trost der Melancholie

Trauer und dunkle Einsamkeit in flatternden Melodien: Der Vortrag der portugiesischen Fadosängerin Misia im Haus der Kulturen ging wirklich ans Herz  ■ Von Waltraud Schwab

Misia war da. Die portugiesische Fadosängerin schmückt sich nicht unabsichtlich mit einem Namen, der sakral und von geläuterter Schönheit durchdrungen wirkt. Das Hehre, für das er steht, bringt sie in ihrem Gesang zum Ausdruck: Konzentrierte Entsagung einerseits und doch auch Leidenschaft, die im schnellen Crescendo einer hingeworfenen Silbe und im gehauchten Unsagbaren einer Verszeile aufgeht. Sie ist ganz Sängerin, ganz Enigma, ganz Diva, ganz Welt. Sie hat den Fado, diese urbane Musik aus Portugal, die Sehnsucht, Trauer, dunkle Einsamkeit in ihren flatternden Melodien einfängt, chartfähig gemacht. Als Verkünderin der weitschweifigen Wahrheit der Gefühle füllt sie Auditorien. In Berlin das bis auf den letzten Platz ausverkaufte Haus der Kulturen der Welt.

Misia ist nicht einfach ein weiterer Import der Weltmusik, der dem hörhungrigen Publikum als authentisches Beispiel einer vom Untergang bedrohten Kultur hingeworfen wird. Misia ist eine Kunstfigur. Eine selbstgeschaffene. Noch ist sie diejenige, die kontrolliert, was vermarktet wird. Sie holt die Fados aus ihrer brüchigen, nostalgischen Lissabonner Bar-Atmosphäre und erweitert ihre musikalische Ausdruckskraft. Begleiten läßt sie sich von einer fünfköpfigen Band mit Gitarre, Geige, Baßgitarre, der Portugiesischen Gitarre – einer langhalsigen Laute mit sechs Saitenpaaren – sowie Akkordeon oder Piano.

Auch hat Misia die bekanntesten Schriftsteller und Schriftstellerinnen Portugals eingeladen, ihr neue Texte auf die alten Melodien zu schreiben. Einer von ihnen ist der letztjährige Nobelpreisträger José Saramago. Konsequent beschreibt er das Thema der Themen des Fados: die Nacht. Misias stimmgewaltige Interpretation des Gedichts steht im Vordergrund. Sie ist der Star, daran besteht kein Zweifel. Wer jedoch nur manierierte Ästhetisierung von Gefühlen erwartet hat, wird von der Lebendigkeit und ihrem Kinderlachen überrascht, wenn sie mit dem Publikum oder ihren Musikern scherzt. Sie ist Kunstfigur, dazwischen aber auch Mensch. Mit ungeheurer Leichtigkeit kommuniziert sie mit den Zuschauern und Zuschauerinnen. Sie erklärt, was sie tut und warum.

Fado ist gesungene Melancholie, die in den Lissabonner Arbeitervierteln entstanden ist. Die erste Fadista, Maria Severa Onofriana (1820–1846) soll eine Prostituierte gewesen sein. „Maria Magdalena“ wiederum war nicht selten die besungene Hauptfigur. Misia kommt dem Ursprung dieser Lieder mit ihrer gespielten Rolle, die an eine Kabarettistin und Chansonsängerin vom Anfang des Jahrhunderts erinnert, am nächsten: Geschminkt im durchaus modischen Armutsstil mit weißem Teint und geröteten Augen, zeigt sie, daß das seelische Leiden der Ewigkeitsentbehrung den Körper nicht unbeschadet läßt. Ist sie Vamp, Femme fatale oder Verführerin? Bekannt ist, daß sie Frauen für die besseren Fadointerpreten hält. Bekannt ist auch, daß ihre profunde musikalische und darstellerische Ausbildung sie als Sängerin durch Bars und Cabarets in Barcelona geführt hat. In Widersprüchen aufgehen heißt, die Poesie auf seiner Seite zu haben. Wenn ihr Fado-Vortrag ganz leicht am Kitsch vorbeischlittert und trotzdem lebendig ist, was spricht dagegen, sich davon das Herz rühren zu lassen?