Trinkgelage mit biblischem Segen Von Ralf Sotscheck

Die Iren sind noch nicht über den Berg. Ein bißchen Buße sei auch heute noch vonnöten, behauptete der katholische Erzbischof von Dublin, Desmond Connell, und wie könnten Iren besser sühnen, als durch Alkoholverzicht? Der Bischof belehrte freilich Erleuchtete: Er sprach vor dem „Verband der Pioniere totaler Abstinenz des heiligen Herzens“, der gerade hundert Jahre alt geworden ist.

„Die Pioniere verzichten nicht auf Alkohol, weil er böse ist“, erklärte er ihnen, „sondern weil der Verzicht auf etwas Gutes und Gesetzliches eine Möglichkeit ist, Christus nachzueifern.“ Die Selbstkasteiung ist eigentlich eine Spezialität von Quäkern, Methodisten und Presbyterianern, und bei ihnen hat die Abstinenzlerbewegung im 18. Jahrhundert auch begonnen. Erst als der Kapuzinermönch Theobald Matthew aus dem südirischen Cork 1838 dem Alkohol mit viel Brimborium öffentlich entsagte, weil ihn ein Quäker dazu überredet hatte, waren auch die Katholiken fällig.

Matthew hatte offenbar ein Alkoholproblem, denn als junger Mann war er vom Priesterseminar geflogen, weil er auf seinem Zimmer Trinkgelage veranstaltet hatte. Die Iren haben ihm ein kleines Denkmal auf Dublins Hauptstraße errichtet. Man kann sich aussuchen, welchem Lebensabschnitt des Mönches man gedenken will. Matthew kam mit seiner Mission nicht sehr weit. Er landete im Gefängnis, weil er die Temperenzmedaillen nicht bezahlt hatte.

Erst Ende des Jahrhunderts griff der Jesuitenpfarrer James Cullen die Idee von Matthew wieder auf. Mit vier frommen Frauen aus seiner Gemeinde schwor er bei der Messe dem Alkohol ab und gründete seinen Verband. Schwieriger war es, bei der katholischen Kirche Anerkennung zu finden, denn ein Pfaffe liebt nun mal seinen Wein. Es dauerte sieben Jahre, bis Papst Pius X. einräumte, daß die Pioniere mit der heiligen Schrift und der Tradition im Einklang stünden.

Das stimmt aber nicht ganz. In der Bibel gibt es einen Satz, der so gar nicht in die Pionierphilosophie paßt: „Du sollst nicht nur Wasser zu dir nehmen, sondern auch ein wenig Wein“, sprach Paul zu Timotheus, „zum Wohle deiner Verdauung und gegen deine häufigen Erkrankungen.“ Die Pioniere haben das Paulsche Prosit so geschickt umgedeutet, daß es Tony Blairs „Spin Doctors“ zur Ehre gereicht hätte. Timotheus hat damals gefastet, was Paul ganz großartig fand, meinen die Abstinenzler. Weil ihm die Hungerkur aber nicht besonders gut bekam, riet Paul ihm, sie nicht so strikt durchzuziehen. Paul war demnach Arzt, auch wenn er es selbst nicht wußte, beruhigen sich die Pioniere. So dürfen auch sie manchmal einen heben, wenn sie krank sind.

In Irland gibt es 200.000 Pioniere, man erkennt sie an der Medaille mit dem eingestanzten Herz Jesu am Revers. Katholische Kinder werden zu Zwangspionieren gemacht: Bei der Erstkommunion gibt es ein Anti-Alkohol-Gelübde, dem der junge Mensch ausdrücklich widersprechen muß, wenn er nicht bis zum 21. Lebensjahr trocken bleiben will. Aber welcher 12jährige outet sich schon vor versammelter Gemeinde als Trinker?

Ich habe meine eigene Bibel-Interpretation und halte mich strikt an Pauls Rat. Vorbeugende Maßnahmen gegen Verdauungsstörungen sind wohl in seinem Sinn.